Grenzüberschreitungen

»Borderlines – No Man’s Land« im Theater an der Parkaue

  • Anouk Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.

Wie überwindet man Grenzen, nationale, soziale, kulturelle oder psychische? Und was kommt bei diesen Grenzerfahrungen heraus, wenn man sie künstlerisch umsetzt? Zwei Jahre lang haben sich Theaterleute und Jugendliche aus Berlin und Nordengland mit dem Thema beschäftigt. Zum Abschluss der Partnerschaft zwischen dem Theater an der Parkaue Berlin und dem West Yorkshire Playhouse aus Leeds ist nun das Stück »Borderlines – No Man’s Land« zu sehen – eine anspruchsvolle Inszenierung für Jugendliche ab 14 Jahren.

In dem Stück von Aisha Khan treffen vier sehr verschiedene Menschen aufeinander. Hauptfigur ist der 17-jährige Kitten, der seine Langeweile und die Perspektivlosigkeit, die ihn umgibt, mit Regelbrüchen und Vandalismus bekämpft. Nun muss er Sozialstunden im Garten von Viktor ableisten, einem alten Mann, der einst Ostberlin verließ und im nordenglischen Leeds landete. 50 Jahre später lebt er immer noch dort, flüchtet sich in Alkohol und Erinnerungen an seine Jugendzeit und seine erste Liebe. Der zornige junge Mann in seinem Garten nervt ihn, und doch müssen die beiden irgendwie miteinander zurechtkommen. Dann ist da noch die Sozialarbeiterin Carole, die regelmäßige Kontrollbesuche abstattet, mit ihrem eigenen Leben aber nicht recht zufrieden ist. Und die 15-jährige Ausreißerin Houdini, die sich nach einem verstörenden Erlebnis in Viktors Gartenhäuschen versteckt hat, unentdeckt von den beiden Erwachsenen.

Regisseurin Lajos Talamonti, die das Stück zusammen mit den künstlerischen Leiterinnen des Borderlines-Projekts, Anne Paffenholz vom Theater an der Parkaue und Alex Chisholm vom West Yorkshire Playhouse entwickelt hat, nimmt sich viel Zeit, die vier Personen zu ergründen, vorsichtig ihre Charaktere und Erfahrungen auszuloten. Man umkreist sich, beobachtet sich, am Anfang fallen wenig Worte.

Nur allmählich entwickeln sich behutsame Annäherungen, jede persönliche Grenzüberschreitung wird erst einmal erschrocken abgewehrt. Immer wieder ertönt knisternde alte Militärmusik von Viktors Tonband, während der alte Mann stumm seinen Whiskey trinkt. Carole erzählt von ihrer Kindheit in der sterbenden Industriestadt Leeds, hinter ihr sieht man Schwarz-Weiß-Filmaufnahmen der verarmten Arbeiterstadt und ihrer Bevölkerung. In einer besonders bewegenden Szene träumt sich Viktor zurück in seine Jugendzeit vor 50 Jahren und wiegt sich mit einer unsichtbaren Partnerin im Tanz. Schöne Bilder sind das, nachdenklich und leise – ein krasser, doch wohltuender Kontrast zu den lauten Konfrontationen zwischen Kitten und seiner frustrierten Sozialarbeiterin oder Kittens Versuch, dem jungen Mädchen Houdini näher zu kommen.

Aus dem Begleitheft erfährt man, dass die Umsetzung des Stücks von zahlreichen Missverständnissen geprägt war – allerdings nicht zwischen den Jugendlichen, sondern zwischen den Theaterleuten. Interessant: Während die jungen Leute, die sich in mehreren Werkstätten sowohl in Leeds als auch in Berlin trafen, schnell Gemeinsamkeiten fanden, redeten Dramaturginnen und Regie erst einmal tagelang aneinander vorbei und taten sich schwer, ein Konzept zu finden. Dem Stück merkt man das nicht an, das vierköpfige Ensemble mit zwei deutschen und zwei englischen Schauspielern überzeugt von der ersten Minute an.

Gesprochen wird allerdings durchweg Englisch – für Kinder unter 14 dürften also zumindest die Sprachbarrieren zu hoch liegen. Allen anderen ist die Inszenierung aber auf jeden Fall zu empfehlen.

Nochmals 13.4., 11 und 18 Uhr; Theater an der Parkaue, Lichtenberg, Tel. 55 77 52 52

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.