Abschied von der heilen Welt

Deutschlands größtes polnisches Filmfestival »filmPOLSKA« betreibt Gesellschaftsanalyse

  • Kira Taszman
  • Lesedauer: 4 Min.
Der ungestüme Bogus rebelliert in »Made in Poland« aus Prinzip gegen alle(s).
Der ungestüme Bogus rebelliert in »Made in Poland« aus Prinzip gegen alle(s).

Diesmal passt das Bild: Der gut aussehende junge Mann, der ein wenig streng vom Plakat der 6. Ausgabe des Festivals »filmPOLSKA« herabschaut, heißt Mateusz Kosciukiewicz und ist der Hauptdarsteller des kontroversen Dramas »Mutter Teresa und die Katzen« (OmU). Dass im letzten Jahr Schauspielerin Agata Buzek das Festival-Plakat zierte, ihr Film dann aber in letzter Sekunde (angeblich) zu Gunsten des Moskauer Filmfests zurückgezogen wurde, hängt ein wenig mit den Rekrutierungsmodalitäten des größten polnischen Filmfestivals in Deutschland zusammen.

In der Sektion »Spielfilme/Neues Polnisches Kino«, erklärt »filmPOLSKA«-Kurator Kornel Miglus vom Polnischen Institut Berlin, laufen keine explizit internationalen Premieren. Seiner Meinung nach ist es dem polnischen Kino zuträglicher, wenn brandneue Produktionen sich im Zweifelsfall für öffentlichkeitsträchtige internationale Festivals entscheiden. »FilmPOLSKA« fungiert deshalb oft als – für Berliner Zuschauer durchaus sinnvolle – Zweitverwertung von aktuellen Filmen, die sich bereits auf der Berlinale oder den Festivals von Gdynia oder Cottbus ihre Sporen verdient haben, wie der eingangs erwähnte Film von Pawel Sala.

In Rückblenden wird hier die authentische Geschichte zweier Brüder erzählt, die ihre Mutter brutal ermordeten. Eine bedrückende Atmosphäre und eine genaue Milieuschilderung kennzeichnen diesen verstörenden Film. Er verzichtet auf psychologisierende Erklärungsmuster und lässt vieles offen.

Anarchisch kommt dagegen »Made in Poland« (OmU) von Przemyslaw Wojcieszek daher. Bogus, der ungestüme Jüngling in diesem mit dröhnender Punkmusik unterlegten Schwarz-Weiß-Film, rebelliert aus Prinzip gegen alle(s), was Konflikte mit der Mafia und Beistand vom versoffenen Ex-Lehrer und dem engagierten Priester zeitigt. Mit Kritik an Ideologien im Allgemeinen und dem erzkonservativen Sender »Radio Maryja« im Besonderen gerät der Film zu einer spannenden Studie des postsozialistischen Polens.

Außer neuen Spielfilmen zeigt »filmPOLSKA« sein Gesamtangebot von fast 100 Filmen auch in der studentischen Kurzfilmreihe oder der Sparte »Kamerakunst«. Darin werden dieses Jahr zwei prominente Kameraleute geehrt, die beide eingeladen sind: Pawel Edelman, der unter anderem mit Andrzej Wajda und Roman Polanski drehte sowie Arthur Reinhart, von dem zwei aktuelle Werke laufen. Das eine, »Morgen wird alles besser« (OmU, Regie: Dorota Kedzierzawska), erzählt von drei russischen Straßenkindern, die in ihrer Not nach Polen flüchten. Trotz des brisanten Themas und einiger präziser Beobachtungen manipuliert der Film den Zuschauer durch Mitleid erheischende Großaufnahmen der Kinder jedoch derart, dass sich Unwohlsein einstellt.

Sonnendurchflutete Bilder, die mit der Schwere des filmischen Sujets kontrastieren, schafft Reinhart auch in Jan Jakub Kolskis »Venedig« (OmU). Hier wird der Zweite Weltkrieg mit den Augen eines Jungen gesehen, der die Gräuel durch Träumereien von der Lagunenstadt kompensiert. Der konsensfähige Film könnte Freunden des gepflegten Historienfilms gefallen.

Dass die meisten Filme gesellschaftsrelevante Themen ansprechen, liegt auch an der Ambition der Veranstalter, sich von »Heile-Welt«-Filmen zu distanzieren. Der Querschnitt durch neue Produktionen bietet auch die Horrorburleske »Wiegenlied« (OmenglU), die avantgardistische Animation »Des Teufels Kinder« (OmenglU) oder Altmeister Jerzy Skolimowskis in Venedig prämiertes Drama »Essential Killing« (OmenglU).

Als Abrechnung mit dem Sozialismus erweist sich der makabre Krimi »Haus der Finsternis« (OmU) von Wojciech Smarzowski. Dort ermitteln im Jahre 1982 durchweg korrupte und alkoholisierte Polizeibeamte in einer Mordsache. Der geschickte Wechsel zweier Zeitebenen bringt Licht in die blutigen Ereignisse in dem unheimlichen Haus, das in Schnee und Schlamm eine treffliche Horrorkulisse abgibt.

Besonders freuen darf man sich auf die diesjährige Retrospektive mit Krzysztof Kieslowskis vollständigem »Dekalog«(1988). In Andenken an den großen Regisseur, der in diesem Jahr 70 geworden wäre, zeigt »filmPOLSKA« seine freien Interpretationen der zehn Gebote wieder auf der Leinwand (OmenglU). Mit seiner nüchternen Sezierung der polnischen Gesellschaft bewies Kieslowski auf nicht moralisierende aber berührende Weise seine profunde Menschenkenntnis. Der Hauptdarsteller seines Meisterwerks »Ein kurzer Film über das Töten« (Dekalog Nr. 5), Miroslaw Baka, wird bei der Vorstellung zugegen sein.

14.-20.4., u.a. in den Hackeschen Höfen, Kant Kino, Zeughauskino, K18; www.filmpolska.de

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