In der Zwangsjacke

Werkschau Michaël Borremans in Stuttgart

  • Georg Leisten
  • Lesedauer: 3 Min.
»The Nude« (2010), Courtesy: Sammlung Charlotte und Bill Ford
»The Nude« (2010), Courtesy: Sammlung Charlotte und Bill Ford

Diese Augen. Aus einem clownweiß geschminkten Gesicht blicken sie ins Leere. Puppenstarr-glasig, schreckweit aufgerissen, für immer festgefroren in der Schrecksekunde des Todes, der die Frau so nichts ahnend plötzlich erwischt zu haben scheint, wie einen Fotografierten manchmal unverhofft der eiskalte Blitzschlag einer Kamera trifft.

Die Bilder des Belgiers Michaël Borremans verstören, weil sie verweigern. Sie zeigen Hände die niemandem gehören, Köpfe ohne Gesicht, Hälse ohne Kopf. Und alles gibt vor, zu einer einzigen großen Daseinsgeschichte zu gehören, um dann doch merkwürdig allein an den weißen Wänden des Württembergischen Kunstvereins (WKV) zu bleiben. In Kooperation mit der Budapester Kunsthalle Mücsarnok fasst die Schau in Stuttgart die letzten zehn Schaffensjahre des international gefragten Künstlers zusammen.

Eine starke Ausstellung. Wer eintritt, den erfasst sofort die absurde Spannung. Und dieser Eindruck hält sich auf dem verwinkelten Parcours, vorbei an rund 100 Gemälden, Zeichnungen und Filmen Borremans’, konsequent durch. Bestückt mit den Kompositionen des Belgiers gewinnt der White Cube des zeitgenössischen Ausstellungsraums eine ganz neue Bedeutung – als Sektionssaal einer Psychopathologie der Moderne. Nicht nur, weil ein schlicht »The Nude« betiteltes Aktgemälde von 2010 uns den hüllenlosen Frauenkörper im Stil einer Anatomieleiche präsentiert. Schließlich stoßen wir immer wieder auf stumme Neurotiker, in Zwangshandlungen versunken, in Zwangshaltungen erstarrt. Manisch bohrt der eine Stecknadeln in eine Rolle, während der andere mit unverständlicher Faszination die Innenfläche seiner linken Hand betrachtet.

Zum Sinnbild einer existenziellen Gefangenschaft wird nicht selten schon die Kleidung. Ein olivgrüner Hemdkragen schließt sich wie ein Eisenring um einen kopflosen Hals, den anonymen Kapuzenmann nebenan würgt ein gelblicher Gurt. In der oft fremdartigen Gewandung, in die Borremans seine Geschöpfe hüllt, ist nicht immer klar, wer die Zwangsjacke, wer den Arztkittel trägt. Der Künstler setzt ein Unbehagen an Medizin und Psychiatrie ins Bild. Vielleicht auch an der Wissenschaft, am exakten Wissen generell. Wie in den Schausammlungen naturkundlicher Museen reihen sich tote Vögel und miniaturisierte Bäume, aber auch Köpfe mit bizarr ausgestülpten Mündern zu einer Morphologie des Abseitigen.

Für Schlagzeilen in Deutschland sorgte Borremans unter anderem 2009, als er von dem Leipziger Starmaler Neo Rauch als geeigneter Nachfolger auf Rauchs Professorenstelle ins Spiel gebracht, von der Hochschulleitung aber zugunsten des konzeptuell entschlackt arbeitenden Kollegen Heribert C. Ottersbach abgelehnt wurde. Vermutlich jedoch hätte der Flame besser in die Lehrtradition der Hochschule für Grafik und Buchkunst gepasst. Altmeisterlich beherrscht er Lichtregie, Weißhöhung und Faltenwurf.

Ähnlich wie bei Rauch haben Borremans Szenarien etwas Zeitvergessenes. Das beginnt bereits bei einer Palette, die ihre Motive in ein nostalgisches Sepiabraun oder ein staubiges Mörtelgrau taucht. Kein Wunder, dass die Werke auf viele schwerblütig und freudlos wirken. Trotzdem waltet in ihnen so etwas wie strukturelle Ironie, die sie vor bloß historisierendem Pathos in Schutz nimmt. Die Kompositionen suchen den Gegensatz von Fülle und Leere, spielen naturalistisch präzis modellierte Gesichterpartien gegen malerisch kaum bearbeitete Leinwand aus.

In mancherlei Hinsicht ist der 1963 geborene Belgier zugleich Erbfolger seines Landmanns René Magritte. Spürt man doch das Nachwirken des großen Surrealisten im Hang zur paradoxen Konstellation, wie sie Borremans inszeniert – etwa wenn er einen luftig transparenten Körper in den Raum setzt: Befindet sich die Fata-Morgana-Frau vor dem Tisch oder geht der Tisch durch sie hindurch? Nicht zuletzt in den filmischen Arbeiten unterstreicht Borremans, dass ihn die offene Ambivalenz zwischen dem Menschen und seinen leblosen Doubles interessiert. Und so wollen auch seine Gemälde nichts weniger darstellen als Porträts. Sie zeigen Nature morte, tote Natur. Blicklose Stillleben aus Gesichtern und Körpern. Auch deswegen diese Augen!

Württembergische Kunstverein Stuttgart: Michaël Borremans – Eating the Beard. Bis 1. Mai. Schlossplatz 2, Stuttgart. Di-So 11-18, Mi -20 Uhr

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