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Stasi-Biografien und Menschenwürde
1994 beschloss der Landtag ein Vorgehen, an das sich die Opposition heute nicht mehr hält
Die kürzlich erlebte Stasi-Jagd auf eine Richterin in Neuruppin wirft die Frage nach zivilisatorischen und rechtsstaatlichen Maßstäben auf, die heute in Brandenburg gelten. Anlass zum Optimismus gibt es wenig.
»Der öffentliche Umgang mit Biografien muss der Menschenwürde verpflichtet sein … Eine der Achtung der Menschenwürde verpflichtete Auseinandersetzung mit politischen Biografien ist unvereinbar mit Vorverurteilungen und der Verletzung von Grundrechten … Eine oberflächliche Beurteilung, die allein am Maßstab formaler Kriterien vorgenommen wird, führt zu groben Ungerechtigkeiten. … Die Beachtung rechtsstaatlicher Grundsätze ist selbstverständlich. Dazu zählen der Anspruch auf rechtliches Gehör, ein faires Verfahren und die strikte Einhaltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit … Bagatellvorfälle sollten keine Beachtung finden … Die seit Beendigung der Tätigkeit für das MfS vergangene Zeit ist zu berücksichtigen. Niemandem darf die persönliche Weiterentwicklung und der Wille zur Neuorientierung abgesprochen werden.«
Betrachtet man die heutige Lage in Brandenburg, dann sind das Sätze wie von einem anderen Stern. Dabei handelt es sich lediglich um Zitate aus einem Beschluss des Landtags, den Abgeordnete aller damaligen Fraktionen 1994 eingebracht hatten: SPD, CDU, PDS, FDP und Bündnis '90.
Das mag man heute kaum noch glauben. Aber es demonstriert, wie viel Niveau und Standard aufzugeben waren und auch aufgegeben wurden, bis es zur heutigen Situation kommen konnte. Die bürgerliche Landtagsopposition verantwortet jetzt ein – inhaltlich völlig ungerechtfertigtes – Misstrauen vieler Menschen gegenüber Polizei und Justiz. Dabei tritt die Opposition maßlos auf. Das Muster ist so bewährt wie ungeheuerlich. Erst den dunklen Stasi-Verdacht streuen und Menschen verunsichern, dann verfahren nach der Methode: Der Pöbel will ein Opfer, und wir liefern es ihm.
Bei der Verfolgung und öffentlichen Demütigung der Neuruppiner Richterin wurden alle Prinzipien verletzt, zu denen sich der Landtag 1994 bekannt hat. Möglicherweise hat sich die Richterin als junge Frau entschlossen, den Geheimdienst ihres Vaterlands zu unterstützen. Damit tat sie etwas, was auch im Nachhinein nicht strafbar ist, was V-Leute des Verfassungsschutzes und Geheimdienstmitarbeiter auf der ganzen Welt auch tun.
Und doch soll es der einstigen DDR-Bürgerin noch 30 Jahre später zum Verhängnis werden. Eine Geheimdienstmitarbeit, die einem Bundesbürger und Bürgern aller übrigen Staaten erlaubt ist, soll den DDR-Bürgern verboten gewesen sein und sie sollen sich dessen damals schon bewusst gewesen sein. Das ist und bleibt absurd.
Vorverurteilungen und Verletzungen erschweren »das Bekennen zur eigenen Verantwortung und gegebenenfalls auch Schuld«, warnt der mit großer Mehrheit angenommene Landtagsbeschluss von 1994. Während in Südafrika, wo es in der Zeit der Rassentrennung hundertmal schlimmere Verbrechen gegeben hat, der Weg des Verzeihens und Versöhnens beschritten wurde, wählte Deutschland den der Stigmatisierung, der Vertreibung aus dem Berufsleben, der Abrechnung, der schier endlosen Verfolgung.
Dieser Unterschied zu Nelson Mandelas Vorgehen in Südafrika war nicht Gottes Wille, er ist irdisches Machwerk. Als die Katechetin Marianne Birthler einst die Verwaltung der Stasi-Akten übernahm, wurde sie gefragt, ob denn nicht die Aussicht auf soziales Abseits es sei, die einstige Zuträger des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit schweigen lasse. Birthler reagierte ungehalten. Wer hier denn wem leid zu tun habe und warum sich eigentlich immer um die Befindlichkeit der Täter gesorgt werde, hielt sie dagegen.
Die Zeit, in welcher der Beschluss »Mit menschlichem Maß die Vergangenheit bewerten« vom Landtag gefasst worden ist, wird nun in einer breiten Front unter die Lupe genommen: in der Enquetekommission zur Aufarbeitung der angeblichen Fehler der ersten Nachwendejahre. Munter ins Zwielicht gerückt wird die Politik von Manfred Stolpe, Regine Hildebrandt, Matthias Platzeck, Peter-Michael Diestel und Hans Otto Bräutigam. Hinrich Enderlein (FDP) war in der ersten Nachwenderegierung Brandenburgs Kulturminister. Er sagte zum Unternehmen Aufarbeitung in der Enquetekommission: »Das ist Blödsinn. Und es bringt gar nichts.« Enderlein hatte Anfang der 1990er Jahre einem der Stasi-Mitarbeit überführten Landtagsabgeordneten nach dessen Ausscheiden aus dem Parlament eine Arbeitsstelle angeboten. Er hat mit menschlichem Maß gehandelt. Der damalige FDP-Fraktionschef Siegfried Lietzmann hat den Beschluss »Mit menschlichem Maß…« mit initiiert. Doch inzwischen weht auch bei der FDP ein anderer Wind.
Dass kein Schlussstrich gezogen wird, der längst fällig wäre, liegt auch an der Untätigkeit der Einsichtigen und an der Demutshaltung der rot-roten Koalition. Sicher, im äußersten Notfall erheben sich Stimmen wie jetzt im Falle der Richterin. Das Justizministerium hat sich vor sie gestellt. Typisch aber ist lammfrommes Schweigen. Reden jedoch wäre hier nicht bloß Silber, sondern Gold.
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