Hammer mit Shakespeare
»Thor« von Kenneth Branagh
Donnergott Thor, seines kriegstreiberischen Hochmuts wegen aus der Götterwelt der Asen verstoßen, landet mit einem satten Aufprall vor dem Wagen einer unwetterforschenden US-Wissenschaftlerin, die ihm schon bald schöne Augen macht – mitten in der Wüste von New Mexico. Und muss, wie einst E.T., zurückkehren in seine eigene Welt, schon damit der Mensch gerettet werde. Was wiederum nicht geht ohne Thors Hammer. Der aber ist in den Händen einer unter dem Namen S.H.I.E.L.D. bekannten Organisation, die aufs Haar der CIA gleicht.
Es ist schon eine merkwürdige Kombination aus Stoff und Regisseur, die da in »Thor« zusammenkommt. Schwer denkbar, dass Oscar-Preisträgerin Natalie Portman das Angebot angenommen hätte, das naive irdische Liebchen eines blonden germanischen Götterhünen zu spielen (noch dazu nach einer Comic-Vorlage), wenn nicht dieser Name über dem Projekt gestanden hätte: Kenneth Branagh. Der Mann, der Hamlet und Heinrich V. war und nicht nur seiner vielen Shakespeare-Verfilmungen wegen lange als der neue Laurence Olivier am Film- und Theaterfirmament galt, ließ sich mit »Thor« auf eine Großproduktion ein, die kommerziell gewagt und künstlerisch verfänglich ist. Eigentlich konnte Branagh mit der 150 Millionen Dollar teuren Verfilmung frei nach den Marvel-Superhelden-Comics der Sechziger nur scheitern.
Scheitern tut er denn auch, aber immerhin auf so unverschämt enthusiastische Art, dass man trotz der gefühlten Überlänge des nur rund zweistündigen Films zumindest immer was zum Staunen hat. Dass das Staunen weniger von der überwältigenden Größe der Unternehmung herrührt, von der Pracht der (meist ohnehin vom Computer errechneten) Ausstattung oder der Originalität der Dialoge, sondern von der schieren Unverfrorenheit, mit der der australische Bodybuilder Chris Hemsworth in der Rolle des Donnergottes die prallen Früchte seines Brustmuskeltrainings zur Schau stellen darf, ist dann eine andere Sache.
Anthony Hopkins als Göttervater Odin mit Augenbinde und Rauschebart verleiht dem Film eine Würde, die der sonst vor lauter Spezialeffekten und Haudraufkrawall gelegentlich vergisst. Damit die Söhne auch mal unbotmäßig handeln können, wird der Herrscher Asgards also in den »Odin-Schlaf« versetzt, einen komaähnlichen Schlummer, aus dem er erst zur finalen Rettung von Menschheit und Götterwelt erwacht. Stellan Skarsgård als irgendwie nordischer, altersweiser Helfer der menschlichen Heldin gibt den zweiten, den irdischen Sympathieträger, während Jeremy Renner (»The Hurt Locker«) in einer Bonsai-Rolle als CIA-Scharfschütze mehr zu ahnen als zu sehen ist. Der intrigante – und daher, ganz filmkonventionell, natürlich dunkelhaarige – Götterbruder Loki (Tom Hiddleston, der schon in der englischen Version der Kommissar Wallander-Fernsehfilme nach Henning Mankell und in Branaghs jüngstem Londoner Bühnenerfolg »Ivanov« unter der Regie von Tom Stoppard an Branaghs Seite stand) erweist sich als intrigant-eifersüchtiges Adoptivkind, das eigentlich bloß anerkannt und geliebt werden möchte wie Thor, Odins leiblicher Sohn. Weniger filmkonventionell besetzt ist ein anderer Held aus Saga und Comic – dass Heimdall, der mächtige Torhüter an der Regenbogenbrücke zwischen Asgard und den anderen Weltteilen, vom schwarzen Briten Idris Elba gespielt wird, sorgte vorab für viel digitales Haareraufen unter Marvel-Fans.
Dabei waren farbige Darsteller in Shakespeare-Adaptionen schon immer ein Branaghsches Markenzeichen. Und ein paar Shakespeare-Anklänge kann er sich auch hier nicht ganz verkneifen: Thor spricht, als sei ihm Shakespeare zumindest mal vorgelesen worden (vielleicht von Göttermutter Frigga alias Rene Russo, wer weiß?), ein Festmahl gegen Ende des Films sieht aus wie ein Gelage am elisabethanischen Hof, und natürlich bietet sich das ganze Gerangel um Ehre, Macht und Liebe ohnehin für tragische Momente an. Sogar ein visuelles Zitat frei nach Fritz Lang findet sich, ein Brückenritt à la Nibelungen, obwohl Pferde sonst keine Rolle spielen in diesem Film zwischen kriegerischen Urmythen und moderner Provinzialität. Kenneth Branagh mag viel vom frühen Glanz verloren haben, seine klassische Bildung kann er selbst hier nicht ganz verleugnen.
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