Martyrium der Meere

Heute startet aufwendige Ozean-Dokumentation

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 3 Min.

Glaubt man den internationalen Wissenschaftlern, die der britische Fernsehdokumentarist Rupert Murray vor drei Jahren für seinen Dokumentarfilm »Die unbequeme Wahrheit über unsere Ozeane« interviewte, ist es längst nicht mehr erst fünf vor zwölf, was eine mögliche Rettung des Ökosystems Meer angeht. Bis etwa 2048 werden die Meere so nachhaltig überfischt sein, heißt es da, dass die Populationen der meisten Speisefischarten ausgestorben sein werden. Fisch schmeckt, ist gesund, in vielen Variationen zu haben und als wichtiger Proteinversorger Grundlage der Ernährung unzähliger Menschen. Noch.

Von Kanada bis Japan, von Gibraltar bis in den Senegal reiste Murray im Auftrag seiner Produzenten, neben dem britische Fernsehsender Channel 4 auch die lateinamerikanische Meeresschutzorganisation MarViva, um sich die Brennpunkte der Überfischung anzusehen. Hier sind die Folgen auch für die Fischer längst nicht mehr zu übersehen. Als Kronzeuge diente ihm dabei Charles Clover, Journalist für große Londoner Tageszeitungen und Autor eines Buches zum Thema, dessen deutsche Übersetzung vor sechs Jahren unter dem Titel »Fisch kaputt. Vom Leerfischen der Meere und den Konsequenzen für die ganze Welt« erschien und den Leitfaden von Murrays Film bildet.

Um industrielle Fischfangflotten geht es da und europäische Fischereiabkommen, die an den Küsten benachbarter Kontinente für programmatische Überfischung sorgen, die ganze Ökosysteme kippen lässt. Quoten, auf Betreiben der Fischereilobby meist ohnehin zu hoch angesetzt, um eine wirkliche Erholung der Bestände zu gewährleisten, werden vielerorts geflissentlich ignoriert und ihre Überschreitung selten effizient geahndet. Weshalb der Konsument gefragt ist, sich vor dem Kauf eines Fisches zu erkundigen, ob er aus nachhaltiger Fischerei stammt oder nicht. Als positives Gegenbeispiel nennt Murray Alaska, das eine vergleichsweise effiziente Kontrolle der Schiffe, ihrer Herkunft, Fischereilizenzen, Fangmengen und Fangorte einrichtete.

Wer den natürlichen Feind wegfischt, darf sich nicht wundern, wenn es plötzlich ein ökologisch bedenkliches Überangebot an Fischen gibt, die nicht auf dem Speiseplan des Menschen stehen, oder wenn eine einst berühmt fischreiche Bucht wie die Chesapeake Bay an der Ostküste der USA am Ende nur noch Plankton, Quallen und Schlamm hervorbringt. Und die vielgepriesenen Aquakulturen sind Teil des Problems, nicht Teil der Lösung, weil zur Fütterung gezüchteter Speisefische weit größere Mengen Fisch aufgewendet werden müssen, als bei der Zucht herauskommen. Den einzigen Mehrwert hat der Züchter, weil bei der Zucht ein Fisch herauskommt, der höherpreisig zu verkaufen ist als die Fische, die er tonnenweise zufüttert.

Murrays Film, in Deutschland zu sehen als Teil der Kampagne fischgruende.de unter Schirmherrschaft von Schauspieler und Tierschutzaktivist Hannes Jaenicke, ist ein flammender Aufruf zu mehr Zurückhaltung bei der Ausbeutung des Lebensraums Meer, zu stärkerer Berücksichtigung von Fragen der Nachhaltigkeit auf Seiten der Fischer wie der Konsumenten, ein Aufruf zur Rettung des Ökosystems Meer – im Interesse des Menschen. Ein Aufruf zur Instandhaltung der Natur um ihrer Selbst willen oder zum Schutz von Meereslebewesen aus Respekt vor dem Leben ist er nicht. Bescheide dich jetzt, damit du später noch etwas zu essen im Meer findest, ist das Fazit. Vegetarisch denkt Murray (noch) nicht.

Ab heute im Lichtblick-Kino. Montag 2.5., 18.30 Uhr, in Anwesenheit von Gerlinde Geltinger vom Zertifizierungsprogramm für nachhaltige Fischerei Marine Stewardship Council (MSC)

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