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Nischenökonomie Fahrkartendealer

Wenn Fahrgäste bei Obdachlosen gebrauchte Bus- und Bahntickets kaufen

  • Sarah Salin, epd
  • Lesedauer: 3 Min.

Frank K. steht an der U-Bahnstation am Kreuzberger Mehringdamm. »Hat jemand einen Fahrschein über?«, ruft er immer wieder den Passanten zu, die aus dem Bahnhof nach draußen strömen. Der Obdachlose steht oft hier und sammelt gebrauchte Tickets. Diese verkauft er dann preisgünstig an andere Personen weiter.

Tickethändlern wie Frank K. begegnet man in Berlin häufig. Ihr Geschäft schadet den Verkehrsbetrieben. Sie machen sich sogar strafbar. Doch Frank K. ist das egal. »Die Verkehrsbetriebe haben schließlich genug Geld und erhöhen trotzdem jedes Jahr die Preise«, sagt er. Bei Frank K. sind die Preise stabil: »Einzelfahrschein ein Euro, Tageskarte drei Euro und nach 18 Uhr zwei Euro«, erklärt er. »Ich verdiene dabei nicht viel, aber mir reicht es.« Dazu spricht er zaghaft Passanten an, die am Automaten ein Ticket ziehen wollen. »Sie sparen schließlich durch mein Angebot Geld.« Er hat auch Stammkunden. »Ohne die würde sich das Geschäft kaum lohnen«, sagt er.

Petra Reetz, Sprecherin der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), sagt ganz klar über den Handel mit den gebrauchten Einzelfahrscheinen: »Es ist eine Straftat.« Beim Ticketkauf geht der Kunde einen Vertrag mit dem Verkehrsbetrieb ein, erklärt die Juristin. Die Fahrscheine seien nicht übertragbar. Ausgenommen davon seien Tagestickets und Monatskarten. Diese Beförderungsbedingungen kenne natürlich niemand auswendig, weiß auch Reetz, aber: »Unkenntnis schützt vor Strafe nicht.«

Besonders ärgerlich ist für die Verkehrsgesellschaften, dass gerade Touristen beim Kauf der gebrauchten Tickets oft betrogen werden. Denn ein Einzelfahrschein gilt bei der BVG zum Beispiel nur für zwei Stunden, und dies nur in die vom Erstkäufer eingeschlagene Richtung. »Das wissen viele nicht, kaufen ungültige Tickets und werden dann von Kontrolleuren erwischt«, erklärt Reetz. Selbst gefälschte Tickets seien schon entdeckt worden. »Dann ist der Kontrolleur in der U-Bahn Zeuge einer Straftat. Wer einen gefälschten, ungültigen Fahrschein in der Hand hält, gilt erst einmal als Betrüger.«

Frank K. kann ebenfalls von Fälschern berichten. »Das sind die Rumänen«, behauptet er. »Die machen mir mein Geschäft kaputt.« Wegen der Imitate seien viele seiner früheren Kunden vorsichtiger geworden. Auch warnen seit kurzem Schilder an den Ticketautomaten vor dem illegalen Handel.

Der Student Kristoffer Wiener nimmt das Second-Hand-Geschäft an der U-Bahn-Station gerne an. »Wenn ich gefragt werde, ob ich Geld sparen will und dabei auch noch einem Obdachlosen etwas Gutes tun kann, dann mache ich das und denke nicht an das Verkehrsunternehmen«, gibt er zu. Auch wenn er sich damit, strafrechtlich betrachtet, aufs Glatteis begibt.

Der Philosoph Arnold Lorenzen verurteilt Wieners Verhalten jedoch nicht: »Er handelt nach dem Prinzip, was seiner Ansicht nach für alle Beteiligten den größten Nutzen bringt.« Somit halte der Student sich an die Ethik des Utilitarismus. Nach Kants Pflichtethik wäre allerdings die oberste Maxime, dass niemals gelogen werden darf, ergänzt der Philosoph. Das heißt für den vorliegenden Fall, dass die BVG niemals betrogen werden dürfte. Deshalb sagt Lorenzen: »Ein ethisch eindeutig richtiges Verhalten gibt es nicht.« Eine gute Lösung könnte sein, legal einen Fahrschein zu erwerben und zusätzlich Obdachlosen mit etwas Kleingeld weiterzuhelfen.

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