Sitzenbleiben wird abgeschafft – fast
Hamburger Senat geht kleine Schulreform an
Hamburgs neuer Bildungssenator Ties Rabe will mehr Tempo bei der Schulreform. Die bereits von Schwarz-Grün beschlossene Abschaffung des Sitzenbleibens soll schon zu Beginn des kommenden Schuljahrs für alle Klassen umgesetzt werden. Der alte Senat wollte dies stufenweise von der ersten bis zur zehnten Klasse erst bis zum Jahre 2014 erreichen. Die neue SPD-Regierung weitet die Abschaffung des Sitzenbleibens auch auf die Oberstufe aus. Die ursprüngliche Schulreform, nach der alle Kinder in einer gemeinsamen Primarschule bis zur 6. Klasse gemeinsam lernen sollten, war im vergangenen Sommer bei einer Volksabstimmung gescheitert.
Fördern statt Wiederholen
Mit der jetzt kleinen Schulreform soll das Sitzenbleiben dennoch nicht völlig passé sein. Wie Peter Albrecht, Pressesprecher der Hamburger Schulbehörde, mitteilte, sollen weiterhin Klassenwiederholungen und Schulwechsel möglich sein, »wenn Schüler und Eltern einen Antrag stellen«. Vorausgehen werden dann individuelle Beratungen und Förderangebote. Das Programm »Fördern statt Wiederholen« wurde bereits im laufenden Schuljahr für die Klassen 4 und 7 gestartet.
Bislang müssen Jahr für Jahr rund zwei Prozent aller Hamburger Schüler ihre Jahrgangsstufe wiederholen. Das sind 2800 Kinder und Jugendliche. Für jeden Betroffenen kostet dies die Stadt rund 6000 Euro. Diese Mittel sollen ab August für gebührenfreien Nachhilfeunterricht eingesetzt werden.
Durch das bislang wenig genutzte Bildungsprogramm von Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen für Kinder, die von Hartz IV leben, kann der Etat für Nachhilfe nochmals um durchschnittlich 10 Euro pro Schüler und Monat erhöht werden. Da nur Schüler mit schwachen Leistungen in den Genuss des neuen Förderprogramms kommen sollen, reicht das Geld nach Ansicht der Schulbehörde aus. »Wir gehen davon aus, dass jedem betroffenen Schüler vier Stunden Nachhilfe pro Woche zur Verfügung stehen werden«, meint Albrecht. »Das wird aber noch mehr sein, da es in der Regel Kleingruppen bis zu fünf Kinder sein werden.«
Anders als beim Bildungsangebot des Bundesarbeitsministeriums fördert die Hamburger Schulbehörde nicht ausschließlich die Schüler aus armen Familien, sondern alle, die mehr lernen müssen, um mithalten zu können. »Es darf keine Stigmatisierung stattfinden«, argumentiert Albrecht. Eine Zuordnung von Nachhilfeempfängern zu Hartz IV solle dabei vermieden werden.
Regeln für Etatverwendung
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft kritisiert an der kleinen Schulreform, dass der zusätzliche Nachhilfeunterricht durch pensionierte Lehrer, Studenten und ältere Schüler erbracht werden solle. »Lernförderung für vom Sitzenbleiben bedrohte SchülerInnen gehört zum Kernbereich der schulischen Arbeit«, konstatiert Hamburgs GEW-Vorsitzender Klaus Bullan. Sie dürfe nicht ausgegliedert werden. Die bildungspolitische Sprecherin und Fraktionsvorsitzende der LINKEN im Rathaus, Dora Heyenn, ergänzt: »Freie Träger und Nachhilfeorganisationen sollen eingebunden werden. Das ist nichts anderes als eine weitere Privatisierung von Bildung.«
Die Schulbehörde begründet den Einsatz externer Lehrkräfte damit, dass die Bildungsmittel aus dem Etat des Bundesarbeitsministeriums nicht zur Finanzierung von Lehrerstellen eingesetzt werden dürfen. Hamburg würde dies gern ändern und verhandele noch mit der Bundesregierung, beteuert Behördensprecher Albrecht. Fest stehe aber: »Der Ort der Nachhilfe muss innerhalb der Schule sein.« 25 zusätzliche Lehrerstellen seien dennoch bereits eingerichtet worden, berichtet er. »Ob noch weitere geschaffen werden, ist noch offen«, sagt Albrecht.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.