Streit ums Möhlauer »Dschungelcamp«

Wittenberger Kreistag berät erneut über die Zukunft eines maroden Flüchtlingsheims

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 3 Min.
Das Flüchtlingsheim Möhlau (Sachsen-Anhalt) muss geschlossen werden, meint der Wittenberger Landrat von der LINKEN. Doch eine Mehrheit im Kreistag will das marode Lager nur aufhübschen. Die Verwaltung legte Widerspruch ein; in der kommenden Woche wird entschieden.

Eine marode Kaserne der Sowjetarmee, die am Ende eines langen Feldwegs zwischen Feldern weit hinter dem Dorf liegt – das ist das Flüchtlingsheim Möhlau, in dem knapp 200 Menschen teils seit Jahren unter erbärmlichen Bedingungen wohnen. »Dschungelcamp« wird der Plattenbaublock genannt, dessen Küchen teilweise verschimmelt und dessen Zimmer überfüllt sind. Sie lebten wie Hühner in der Käfighaltung, sagte eine der vielen Jugendlichen, die in dem Heim aufwachsen, einmal.

Diese Art der Unterbringung »macht psychisch und körperlich krank«, erklärt Frauke Sonnenburg vom Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt. Nachdem die Missstände seit Jahren angeprangert werden, sich sogar eine Protestinitiative im Heim gründete und Demonstrationen stattfanden, könnte die Unterkunft nun geschlossen werden. Eine Arbeitsgruppe, in der Initiativen, Betroffene und Politiker aus dem Kreistag mitwirkten, erarbeitete einen Vorschlag: Künftig sollen nur noch »alleinreisende« Flüchtlinge in einer, wie es im Behördendeutsch heißt, »Gemeinschaftsunterkunft« wohnen – allerdings nicht mehr in Möhlau, sondern in einem früheren Lehrlingswohnheim in der Kreisstadt Wittenberg. Alle Familien wiederum sollen sogar in Wohnungen untergebracht werden.

Ungültiger Beschluss

Das entspreche zwar »noch nicht unseren Wunschvorstellungen«, sagt Sonnenburg; jedoch werde sich die Lage der Flüchtlinge verbessern. Unter anderem könnten diese nun Ämter in der Kreisstadt, aber auch Läden und einen Bahnhof viel besser erreichen. Allerdings kam es bei der Beratung im Kreistag am 11. April zu einem Eklat: Die von Landrat Jürgen Dannenberg (LINKE) eingebrachte Vorlage wurde auf Betreiben der FDP-Fraktion und mit Unterstützung einer Kreistagsmehrheit gekippt. Die Abgeordneten sprachen sich dafür aus, den Heimbetrieb in Möhlau fortzuführen und lediglich gravierende Mängel zu beseitigen. Der für Sommer 2011 ins Auge gefasste Umzug schien in Gefahr.

Am Montag wird sich der Kreistag indes erneut mit dem Thema befassen müssen. Der Grund: Landrat Dannenberg hat Widerspruch gegen dessen Votum eingelegt. Die Änderung der Vorlage sei gar nicht möglich gewesen, sagt Sprecher Ronald Gauert. Immerhin sei bereits die Ausschreibung für die neuen Unterkünfte erfolgt; die Möglichkeit, diese aufzuheben, »ist derzeit nicht gegeben«. Der Kreistag hätte lediglich das Ergebnis zur Kenntnis nehmen oder bei gravierenden Fehlern ablehnen, nicht aber dieses modifizieren dürfen. »Es kann da nicht jeder hineinregieren«, sagt Gauert.

Wenn die Vorlage der Verwaltung erneut durchfällt, würde nach Gauerts Worten die Kommunalaufsicht einschreiten. Die LINKE im Landtag appelliert an die Abgeordneten, sich vom Flüchtlingsheim in Möhlau zu trennen. Derartige Heime seien »unhaltbar und letztlich inhuman«, sagt Henriette Quade, die Sprecherin für Flüchtlingspolitik. Frauke Sonnenburg hofft indes, dass sich durch die Querelen im Kreistag die Möglichkeit ergibt, »das Paket noch mal ganz aufzumachen« und alle Flüchtlinge in eigenen Wohnungen unterzubringen.

Problemfall Zeitz

Ähnlich verfahren bereits die Stadt Dessau und der Altkreis Sangerhausen. Generell seien die Heime in Sachsen-Anhalt allerdings in unterschiedlich gutem Zustand, sagt Sonnenburg. Ein umstrittenes Containerdorf in Weißenfels werde jetzt geschlossen, aber durch ein Wohnheim in Zeitz ersetzt, dessen Betreiber der gleiche wie in Möhlau ist. Die Zeitzer Einrichtung, sagt Sonnenburg, sei neben dem ebenfalls auf einem früheren Kasernengelände gelegenen Heim in Harbke »zweifellos der größte Problemfall« im Land.

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