»Auferstanden als Ruine«
Hamburger demonstrieren für den Erhalt der Roten Flora
Kurz nach der Auflösung einer Demonstration für das autonome Stadtteilzentrum Rote Flora und den Bauwagenplatz Zomia ist die Hamburger Polizei am Samstag mit Wasserwerfern gegen Demonstrationsteilnehmer vorgegangen. Es war der Auftakt zu einer vergleichsweise ruhigen Nacht auf den 1. Mai, die gegen 22 Uhr im Schanzenviertel begann.
Rund um die Rote Flora wurde die frühzeitig anwesende Polizei vereinzelt mit Feuerwerkskörpern beschossen, nach eigenen Angaben wurden dabei elf Einsatzkräfte verletzt und 17 Personen vorläufig festgenommen. Auch hierbei kamen Wasserwerfer zum Einsatz. Zudem wurde das zum »Gefahrengebiet« erklärte Gelände weiträumig abgesperrt und zahlreiche Platzverweise ausgesprochen. Die Hamburger Innenpolitikerin Antje Möller (Grüne) sprach von einem »extrem rigiden Vorgehen« der Polizei, die bis etwa 2 Uhr nachts zahlreiche Straßen gesperrt und den U-Bahn-Betrieb eingeschränkt hatte. »Die Polizei hat quasi den gesamten Stadtteil besetzt«, kritisierte die LINKE-Bürgerschaftsabgeordnete Christiane Schneider.
Um 19.30 Uhr war der Demonstrationszug für Flora und Zomia gerade an seinem Ende angekommen: einer Großbaustelle, auf der eine Filiale des schwedischen Möbelhauses Ikea entstehen soll. Einige Demonstranten machten sich am Bauzaun zu schaffen und rissen ihn auf einer Länge von etwa 30 Metern ein. Die Leitung verzichtete auf eine Abschlusskundgebung und erklärte die Demonstration für beendet. Kurz danach trieb die Polizei, die die Atmosphäre als »äußerst gereizt« bezeichnete, nach einer wiederholten Warnung die Teilnehmer auseinander.
Die Organisatoren von »Stadt selber machen« sprachen von 6000 Teilnehmern. Die Polizei, die im Vorfeld nur etwa 2000 Demonstranten erwartet hatte und mit 2300 Einsatzkräften vor Ort war, ging von 4000 Demonstranten aus. Zuvor war die Kundgebung für das Stadtteilzentrum und den von einer Räumungsverfügung bedrohten Bauwagenplatz in Hamburg-Wilhelmsburg weitgehend friedlich geblieben. Allein das wiederholte Zünden von Böllern führte zu mindestens drei Verletzten in den Reihen der Demonstranten. Die Polizei hatte den zweistündigen Zug von der Roten Flora zur Ikea-Baustelle früh unterbrochen und verschiedene Teilnehmer aufgefordert, ihre Vermummung abzulegen. »Wir demonstrieren dafür, Stadt selbst zu machen und nicht auf die Behörden oder die etablierte Politik zu vertrauen«, erklärte eine der Organisatorinnen.
Das Fronttransparent »Auf(er)stand(en) als Ruine« erinnerte an die Entstehung der Roten Flora. Das baufällige ehemalige Varietétheater war 1989 besetzt und zum Stadtteilzentrum umgewidmet worden. Seine Zukunft ist ungewiss. Dem Eigentümer Klausmartin Kretzschmer ist es seit April 2011 vertraglich gestattet, die Immobilie zu veräußern. Rechtlich umstritten ist, ob eine kommerzielle Nutzung möglich ist oder die Widmung als Kulturzentrum erhalten bleiben muss.
In Reden setzten sich Teilnehmer nicht nur für den Weiterbestand von Flora und Zomia ein, sondern riefen auch zum Widerstand gegen die anlaufende Volkszählung und die Umstrukturierungspolitik in den Boom-Stadtteilen St. Pauli und St. Georg auf. »Wir sind kein Objekt, sondern Menschen, denen man versucht, einen Teil ihres Lebens zu nehmen«, erklärte eine Sprecherin der »Initiative Esso-Häuser«. Die Häuser umfassen rund 100 Wohnungen, die kürzlich an einen bayerischen Investor veräußert worden sind. Die Initiative befürchtet, dass nun weiterer des mittlerweile selten gewordenen günstigen Wohnraums der Umstrukturierung zum Opfer fällt.
»Unkraut vergeht nicht! – Rote Flora bleibt unverträglich«, stand auf einem weiteren Transparent geschrieben. Eine Rednerin der Duisburger Gruppe »DU it yourself«, die an der Wedau regelmäßig zu »Nachttanz-Demos« aufruft, formulierte in ihrer Grußbotschaft einen unter den Teilnehmern wohl konsensfähigen Satz: »Flora bleibt – und sie bleibt Risikokapital!«
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.