Keine Kirche für die Garnison
Potsdamer wollen eine Bürgerinitiative gegen den geplanten Wiederaufbau gründen
Das Engagement von Politikern, Militärs, Prominenten und Kirchenleuten für den Wiederaufbau der Potsdamer Garnisonkirche verfolgen sie nach eigenem Bekunden »erstaunt und sprachlos«. Ein halbes Dutzend Aktivisten versucht jetzt, eine Bürgerinitiative gegen das umstrittene Projekt anzuschieben. Sie laden ein, am 12. Mai um 17 Uhr zur Gründungsversammlung ins Kabarett »Obelisk«, Charlottenstraße 31, zu kommen.
In der Garnisonkirche zelebrierten die faschistischen Machthaber am 21. März 1933 die Eröffnung des Reichstags. Vor der Kirche schüttelte Kanzler Adolf Hitler in einer auf Wirkung berechneten Szene dem Reichspräsidenten Paul von Hindenburg die Hand. Das gilt als Ausdruck der Verbindung der Nazis mit dem militaristischen Preußentum. Nach einem Bombenangriff in der Nacht zum 15. April 1945 brannte die Kirche. Nach dem Zweiten Weltkrieg nutzte eine christliche Gemeinde die provisorisch hergerichtete Kirchturmruine. Eine Sanierung – eventuell finanziert mit Spenden aus dem Westen – wäre möglich gewesen. Doch SED-Generalsekretär Walter Ulbricht urteilte: »Das Ding muss weg!« Die Sprengung erfolgte 1968.
Ist den Befürwortern des Wiederaufbaus der Symbolgehalt des Gebäudes wirklich nicht bewusst?, heißt es fragend im Aufruf zur Gründung der Bürgerinitiative. »Ist die Sehnsucht nach barocken Trugbildern wirklich so groß? Überlassen wir die Gestaltung unserer Stadt den Vertretern der Vergangenheit?« Hinter dem Aufruf stehen zum Beispiel Lutz Boede und Sandro Szilleweit. Sie gehören beide zum Umfeld der linksalternativen Stadtfraktion »Die Andere«. Boede ist Fraktionsgeschäftsführer und Szilleweit kandidierte für die Liste. Möglicherweise rückt er noch in der Stadtverordnetenversammlung nach, denn bei dieser Fraktion gilt das Rotationsprinzip. Auch zwei Mitglieder der Linkspartei schieben die Bürgerinitiative mit an, verrät Szilleweit. »Wir möchten die Gegner der Garnisonkirche sammeln und zeigen, dass das keine kleine Gruppe ist.« Zunächst soll überlegt werden, was sich jetzt noch gegen den Wiederaufbau tun lässt. »Jeder kann sich einbringen«, erklärt Szilleweit. Offen sei etwa die Frage, ob Potsdam überhaupt eine weitere Kirche benötige.
Quadratmeter pro Gläubige gerechnet brauche man sicher nicht zwingend ein zusätzliches evangelisches Gotteshaus, räumt Pfarrer Martin Vogel ein. Der theologische Vorstand der Stiftung für den Wiederaufbau sieht gleichwohl ein Bedürfnis. Man solle sich nur einmal in die Potsdamer Nikolaikirche setzen, empfiehlt er. Man müsse dann nicht lange warten, bis ahnungslose Touristen hereinschauen und fragen, ob dies die Garnisonkirche sei.
Die von einem ehemaligen Bundeswehroffizier angeführte Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel machte sich lange stark für eine originalgetreue Kopie der alten Garnisonkirche. Die evangelische Kirche hegt andere Pläne. Sie möchte zwar eine historische Fassade, innen jedoch moderne Einbauten wie Toiletten und einen Aufzug. Doch damit nicht genug. »Eine Kirche für die Garnison, das wollen wir nicht mehr«, betont Vogel. Ihm schwebt ein Bildungszentrum vor, in dem über die Vergangenheit informiert und über die Gegenwart diskutiert wird. Hitler sei eine Stunde lang in der Garnisonkirche gewesen, erläutert der Pfarrer. Doch zur Geschichte gehöre auch, dass sich hier Wehrmachtsoffiziere »Mut holten«, die zu den Verschwörern des 20. Juli 1944 zählten und hingerichtet wurden. Es soll an den antifaschistischen Widerstand erinnert werden. Dabei könnten auch Kommunisten gewürdigt werden. »Vorstellen kann ich mir das durchaus«, bestätigt Vogel.
Bereits im Jahr 2005 legte Bischof Wolfgang Huber den Grundstein. Seitdem geschah sichtbar fast nichts. Die Fundamente der Kirche werden freigelegt und es entsteht derzeit übergangsweise eine Kapelle. Sie soll am 25. Juni eröffnet werden und die Ausstellung zur Garnisonkirche beherbergen. Zwei Millionen Euro aus dem Vermögen der DDR-Parteien und -Massenorganisationen erhielt die Stiftung. Außerdem wurden ihr als größte Einzelspende 700 000 Euro und eine Eigentumswohnung vermacht. Ein Büro kümmert sich derzeit um die Projektierung. Ende des Jahres sollen die Planungen für den Wiederaufbau des Turms vorliegen, erzählt Vogel. Ziel bleibt die Einweihung am 31. Oktober 2017. »Lassen sie uns den Turm aufbauen und von der ganzen Kirche träumen«, sagt der Pfarrer.
Die LINKE will keine Wallfahrtsstätte für Militaristen. Die Pläne der evangelischen Kirche sind aber etwas anderes, gesteht Linksfraktionschef Hans-Jürgen Scharfenberg zu. Wenn die evangelische Kirche ein Versöhnungszentrum möchte, in dem es eine kritische Auseinandersetzung mit Hitlers Inthronisierung gebe, dann sei das in Ordnung. »Wir bekämpfen dieses Vorhaben nicht. Wir tolerieren es.« Öffentliches Geld dürfe allerdings nicht fließen. Der Wiederaufbau müsse wie versprochen mit Spenden bezahlt werden. Die LINKE werde kein Geld dafür einsammeln. Das sei nicht ihr Ding, stellte Scharfenberg klar. Man verwende die eigenen Kräfte für andere Dinge, etwa, um die Ausstattung eines Jugendklubs zu organisieren. Scharfenberg hatte sich persönlich darum gekümmert, dass ein Möbelhaus die Einrichtung des Klubs im Wert von 10 000 Euro kostenlos lieferte.
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