Vermisst wird eine Vision

Experten und Politiker fragen: Ist Stadtentwicklungspolitik nach der Wahl egal?

  • Bernd Kammer
  • Lesedauer: 3 Min.

»In der Stadtplanung läuft gerade etwas schief«, konstatieren Cordelia Polinna und Johanna Schlaack. Beide gehören zu einer Gruppe junger Wissenschaftler an der TU Berlin, die sich »Think Berl!n« nennt und jetzt auch die Wahlprogramme der Parteien analysiert und festgestellt hat: Da steht zur Stadtentwicklung wenig drin. »Das Thema Mediaspree ist aus der öffentlichen Wahrnehmung gerutscht, wie man gegen Mieter-Verdrängung vorgehen will, ist unklar, und ob Berlin eine Internationale Bauausstellung (IBA) braucht wird, nicht diskutiert«, so Polinna.

Kritik an der Berliner Baupolitik war von Stadtplanern und Architekten in letzter Zeit häufiger zu hören. Jetzt schließen sich ihr aber auch Politiker an, und zwar nicht nur der Opposition. Neben den TU-Stadplanern saßen gestern auf der Pressekonferenz auch die Bauexpertin der Grünen, Franziska Eichstädt-Bohlig, und Mittes SPD-Baustadtrat Ephraim Gothe. Thomas Flierl, stadtentwicklungspolitischer Sprecher der Linkspartei, fehlte nur, weil er dienstlich in Armenien weilt. In einer gemeinsamen Pressemitteilung der Drei wird eine »gestaltende Wohnungspolitik« vermisst, die Abhängigkeit von Investoreninteressen beklagt und »die reine Hotel- und Büronutzung« am Hauptbahnhof kritisiert. »Berlins Ringen um ein gesamtstädtisches Leitbild ebenso wie um einzelne Projekte der Stadtentwicklung hat in den letzten Jahren stark nachgelassen«, wie es heißt.

Nach Einweihung des Hauptbahnhofs hätten viele wohl gedacht, die Stadt sei fertig, sagte Gothe. Aber Berlin sei im Vergleich zu anderen Metropolen eine Stadt im Wandel. Die Schließung von Tempelhof und Tegel etwa veränderten ihr gesamtes Gefüge. »Was passiert mit dem Norden Weddings, wenn Tegel schließt? Das darf man nicht dem Selbstlauf überlassen«, verlangte Gothe, der sich ansonsten redlich bemühte, die von seiner Partei gestellte Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer in Schutz zu nehmen. Die habe es im Senat nicht einfach, diese Themen durchzusetzen, sagte er und forderte einen Runden Tisch Stadtentwicklung. Für den Tourismus gibt es ihn schon.

Auch TU-Professor Harald Bodenschatz, ebenfalls Unterstützer von Think Berl!n, bemängelte das Fehlen einer politischen Vision für die Entwicklung der Stadt. Das Verhältnis der alten Mitte zur City-West sei nicht geklärt, die Entwicklung am Molkenmarkt stockt, überall gebe es einzelne Projekte, die nicht vernetzt würden. Ihm schwebt eine Art Stadtvertrag vor, in dem sich gesellschaftliche Initiativen und Politik auf die wichtigsten städtebaulichen Vorhaben verständigen. »Wir brauchen eine Leitlinie: was wollen wir, was nicht.«

Alles solle gleichzeitig entwickelt werden, nichts werde konzentriert angepackt, »dadurch wird es beliebig«, befand Eichstädt-Bohlig und bemängelte das Fehlen von städtebaulichen Vorgaben des Senats. Die Bezirke kämpften für sich: um ihre halb leeren Gewerbeareale zu füllen, siedelten sie überall Solar- und Technologieparks an. »Zufallsinvestoren entscheiden, ob die Kugeln so oder so rollen.«

In Berlin mangele es nicht an guten Ideen, aber an Konzepten zur Umsetzung, heißt es in einem Memorandum von »Tink Berl!n«. Darüber kann am Freitag ab 17 im Amerika-Haus (Hardenbergstr.) diskutiert werden: »Ist Stadtentwicklung nach der Wahl egal?«

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