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Begegnung im Stau
»Im Regen ...«
Alma steckt im Stau fest, die Straßenbeleuchtung von Buenos Aires spiegelt bunte Reflexe in die Regentropfen auf der Windschutzscheibe. Die Scheibenwischer sind gegen so viel Wasser machtlos, die Welt draußen verschwimmt zu einem diffusen Meer an Leuchtkörpern, untermalt vom Dauerton des Regens, der wie ein Kokon alle anderen Geräusche der Außenwelt abschirmt. Drinnen hört man sonst nur die regelmäßige Bewegung der Scheibenwischer. Als Alma (Valeria Bertuccelli, Foto: Verleih) aussteigt, um in einem Schnellkauf ein paar Dinge zu besorgen – Wasserflasche, Hamburger, Zahnbürste, Batterien für den Walkman, Schwangerschaftstest –, reicht schon der kurze Weg von der Autotür bis zur Schwelle, um klatschnass zu werden.
Als die Batterien eingelegt sind in den Walkman, setzt Musik ein. Vom Regen ist jetzt ein paar Minuten lang nichts mehr zu hören. Sonst ändert sich nicht viel. Nur einmal nutzt Alma einen Totalstillstand, um bei runtergedrehter Scheibe draußen im strömenden Regen ihren Bonsai zu gießen. Das knutschende Pärchen im ebenfalls bewegungslosen Nachbarauto streift sie mit verächtlichen Blicken. Beim nächsten Stehen reicht die Zeit zum Verlassen des Wagens, zum Kauf von Alkohol und Zigaretten. Und zum schnellen Gespräch mit Almas Mutter, der sie irgendwas erzählt vom schönen Wetter und der vielen Arbeit. Dann steigt Roberto ein in Almas Wagen. Alma und Roberto kennen sich nicht, er sucht nur einfach irgendwo Schutz vor dem strömenden Regen. Oder vielleicht vor den Polizeisirenen, die im Hintergrund die eilige Auflösung einer Demonstration begleiten.
Erst mit Robertos Augen bekommt, während einer Zigarettenpause, auch der Zuschauer zu sehen, dass Alma ihren Wagen mit ihren ganzen Habseligkeiten vollgeladen hat. Und mit dem schnellen Abschiednehmen nach der kurzen Begegnung wird es dann auch nichts werden. Weil Alma gerade in einer existenziellen Krise steckt, ihren Mann verlassen hat – und mit dem Mann das ganze bisherige Leben –, im Auto schläft, nicht weiter weiß. Und weil Roberto in Buenos Aires niemanden mehr hat als seinen alten Vater, der im Koma liegt. Der Rest der Familie lebt in Spanien, den Vater kennt Roberto so wenig, dass er erst gar nicht weiß, an welches Krankenbett er im Krankenhaus nun teilnehmend treten soll. Die wiederholte Begegnung mit dem anderen, ähnlich Gestrandeten, wird zum Katalysator für neue Entwicklungen, neue Hoffnung in beider Leben.
Nachwuchsförderung und Koproduktionsmarkt der Berlinale waren vor fünf, sechs Jahren Hebammen bei diesem zweiten Spielfilm der Argentinierin Paula Hernández, der dann im Herbst 2008 beim Filmfest Mannheim-Heidelberg den Großen Preis gewann. Valeria Bertucelli, ihre Alma, ist auch in Europa aus diversen argentinischen Produktionen bekannt, und bei Ernesto Alterio, dem Darsteller des Roberto, stimmen sogar die private Biografie und die seiner Figur fast überein: Er wurde in Argentinien geboren, zog aber früh mit der Familie nach Europa um und drehte mit »Im Regen des Südens« seinen ersten Film in der alten Heimat, nach einer ganzen Karriere im spanischen Kino.
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