In welchem Lager wurde meine Mutter geboren?

NS-Zwangsarbeiter und ihre Kinder: Der Russe Swjatoslaw Abaschin auf Spurensuche in Berlin

  • Andreas Heinz
  • Lesedauer: 2 Min.
Die Bilder lassen Swjatoslaw Abaschin und seine Mutter Ljubow Abaschina nicht zur Ruhe kommen: Die Aufnahmen wurden während des Zweiten Weltkrieges in Berlin gemacht und zeigen Abaschins Mutter als Kleinkind auf dem Arm seiner Oma Warwara Fedorowna Kudinowa, daneben eine Freundin. Fest steht bis heute nur, dass die Fotografien in einem Zwangsarbeiterlager im Ortsteil Kaulsdorf entstanden. Die in Russland lebende Familie will nun endlich Gewissheit haben, in welches Kaulsdorfer Lager die Großmutter deportiert und wo die Mutter geboren wurde. »Abaschins Mutter kam um den 28. Mai 1943 zur Welt. Eine Geburtsurkunde existiert nicht«, so Uta Fröhlich. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit in Berlin-Niederschöneweide ist mit Ihren Kolleginnen und Kollegen gemeinsam mit ND auf der Suche nach Zeitzeugen für eine Dauerausstellung über NS-Zwangsarbeiterlager im Großraum Berlin.
Mutter, Tochter und Freundin im Lager in Berlin
Mutter, Tochter und Freundin im Lager in Berlin

Swjatoslaw Abaschin schrieb 1995 erstmals nach Deutschland, um mehr über den zwangsweisen Aufenthaltsort von Mutter und Großmutter während des Krieges in Deutschland zu erfahren. Erste Anlaufstelle war der Internationale Suchdienst (ITS) im hessischen Bad Arolsen. Im Herbst vorigen Jahres bat Abaschin das Deutsch-Russische Museum in Berlin-Karlshorst um Hilfe, das die Anfrage an das Dokumentationszentrum weiterleitete.

»Herr Abaschin ist nun auf der Suche nach genaueren Angaben zu seiner Mutter und Großmutter. In einer Widmung, die sich auf einem der Fotos befindet, wird es als ›Lager Kaulsdorf naeh‹ oder ähnlich bezeichnet. Wir konnten es bisher nicht identifizieren«, so Uta Fröhlich. »Ich gehe von etwa zehn Sammellagern in Kaulsdorf aus. Kaulsdorf war zu dieser Zeit wenig industrialisiert, weshalb es dort vergleichsweise wenige Lager gab. Gesichert ist die Zahl jedoch nicht.«

Das Dokumentationszentrum möchte in diesem Zusammenhang wissen: Wer kann sich an Kinder (vor allem Kleinkinder) von Zwangsarbeitern erinnern? Wo waren ausländische Säuglinge untergebracht? Wer weiß etwas über Geburten in Lagern, Entbindungsanstalten oder Krankenhäusern?

»Wir wissen beispielsweise, dass es in Köpenick in der Lindenstraße 34 eine private Entbindungsanstalt gab, in der auch Kinder von Zwangsarbeitern geboren wurden«, berichtet Uta Fröhlich weiter. »Im Nachbarhaus mit der Nummer 35 existierte vermutlich ein Kinderheim, in dem auch Säuglinge gestorben sind. Vielleicht handelt es sich hier um eine der berüchtigten so genannten Ausländerkinder-Pflegestätten. Hat hier jemand etwas beobachtet?«

Weitere Hinweise hat das Dokumentationszentrum auf spezielle Stationen oder Lager, in denen Babys untergebracht waren. So soll es im Lehrervereinshaus am Alexanderplatz eine Säuglingsstation gegeben haben, ebenso im Lager Haselhorst-Süd in der Spandauer Nonnendammallee, sowie im Reichsbahnlager Karow und im Sammellager Adlershof.

»Umfassende Untersuchungen zum Thema Zwangsarbeiterkinder gibt es bisher nur in Niedersachsen«, stellt Fröhlich fest. Erste stichprobenartige Recherchen in Sterbezweitbüchern aus dem Landesarchiv Berlin ergaben an bestimmten Adressen Häufungen von Todesfällen unter Säuglingen und Kleinkindern, zum Teil mit stereotypen Todesursachen wie »Ernährungsstörung«.

Bis Ende 1942 wurden schwangere Polinnen und Ostarbeiterinnen noch abgeschoben, so das Dokumentationszentrum. Ein Erlass des Generalbeauftragten für den Arbeitseinsatz beendete diese Praxis. Als »gutrassig« geltende Kinder wurden »eingedeutscht«, als »minderwertig« angesehene kamen in »Ausländerkinder-Pflegestätten«, wo viele nicht überlebten.

»Aufgrund der rassistischen NS-Ideologie galten für Ostarbeiterinnen und Polinnen andere Bestimmungen als für Frauen aus West- und Nordeuropa«, weist Uta Fröhlich hin. »Zahlreiche Frauen wurden zur Abtreibung gezwungen, obwohl nach Nazirecht Abtreibungen verboten waren.«

www.krieggegenkinder.de

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