Eine Oper geht ins Wasser

Bei »AquAria_PALAOA« begegnen sich Kunst und Wissenschaft

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 3 Min.

Im noch nicht restaurierten Stadtbad Steglitz gingen vor drei Jahren die Polarforscher Amundsen und Scott auf ihre legendäre »Expedition zum Südpol« von 1911/12 – ein Wettlauf mit tödlichem Ausgang. Die Schwimmhalle war dazu zur Eiswüste ausgekleidet worden. Alles Spiel: Trockenschwimmen im wasserleeren Bassin.

Nun zieht das funktionstüchtige Stadtbad Neukölln nach. Dort lässt man die Oper smaragdgrün baden gehen. Ausgedacht hat sich das einstündige Projekt die an zeitgenössischem Musiktheater sowie innovativen Klang- und Darstellungsmöglichkeiten interessierte Sopranistin Claudia Herr. Susanne Stelzenbach schrieb ihr dazu die Musik, Monika Rinck ein düstertöniges Libretto, Regie führte Holger Müller-Brandes. Auf ein konventionelles Theatererlebnis darf man an jenem Ort nicht spekulieren. Denn für »AquAria_PALAOA«, ihre Unterwasseroper über das Alter der Welt, hat sich Herr mit der Wissenschaft verbündet. Partner fand sie im Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung. Neben dem Hauptsitz in Bremerhaven untersucht es in Arktis und Antarktis sowie an Küsten und in Ozeanen, und hilft mit, komplexe Zusammenhänge im Erdsystem und das Klimageschehen zu ergründen. Seit Dezember 2005 betreibt das Institut auch eine kleine Station an der Schelfeisküste der östlichen Weddellsee – »PALAOA« lautet das Kürzel ihrer Mission und bedeutet auf Alt-Hawaiianisch Wal. Dieses Observatorium nimmt mittels Hydrophonen und Sensoren Geräusche 100 Meter unter dem Eis auf. Erzeugt werden sie auch von den Weddellrobben, dem südlichsten Säugetier, das ganzjährig auf und unter dem Eis lebt, bis zu 20 Minuten in Tiefen von 700 Metern tauchen kann, zwitschernd und singend über ein akustisches Repertoire von 50 Rufen verfügt. Das alles inspirierte zur Unterwasseroper.

Märchenhaft ist diese Oper konstruiert. Eine junge und eine alte Frau finden sich im verbalen Widerstreit. Während sich die Alte mit dem Altern abfindet, sucht die Junge nach steter Jugend angesichts ihrer eigenen Alternsgewissheit. Schwertwal Schwermut feuert sie an, weiß zugleich um die Ausweglosigkeit ihres Bemühens. Dem Alter des ewigen Eises hat der Mensch eben nichts entgegenzusetzen. Als gleichnishafte Figuren tauchen der Chor der alten und jungen Robben auf: Hintergrund für die Existenz der beiden Frauen. Eingebunden in die Klangcollage aus live über und unter Wasser erzeugter Musik sind Tondokumente, auf denen Wissenschaftler jener Station über Arbeitsergebnisse berichten. Antikisierend statisch inszeniert Müller-Brandes, auch weil Wasser kein hohes Gehtempo gestattet. In langen Kleidern lagern die zwei Frauen (Claudia Herr und die Mezzosopranistin Regina Jakobi) am Bassinrand in tropischer Feuchte zwischen den Jugendstilsäulen. Orange Kapseln schwimmen und sinken im Lauf der Zeit. Bis zum Hals geht der Chor zu metallenem Klang (Trompete, Cornett, Schlagwerk, Violoncello, später auch Schlagwerk) ins Wasser, beginnend unter der mosaizierten Apsis des 1914 eingeweihten Bades. Robbengesänge wie Glucker- und Grunzlaute überlagern sich, zeitgeraffte Projektionen einer stürmischen Eiswüste erscheinen an der Decke. Gut ist die Akustik des Raums, sein Nachhall indes verzerrt, weshalb ein Großteil der Texte unverständlich bleibt. Die vorab ausgegebenen Textblätter sind daher unverzichtbar. Einige Wasserbilder prägen sich ein, wie etwa die Formationen der Robben, aus übergestreiften Plastikfolien gefügte, sich drehende Eisblöcke, zwischen denen die Solisten agieren. Am Ende bevölkern Reglose in Rückenlage das Bassin, Stillstand und Lethargie obsiegen. Der Rest ist Fantasie.

Am 14., 21.5., 15.+16.6., 10., 17.9., 22 Uhr, Stadtbad Neukölln, Ganghoferstr. 3, Telefon: 01805-44 24 46, www.unterwasseroper.de

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