Geschichtsstreit in Oberschlesien
Vergangenheit spaltet Regionalparlamente
in einer mehrheitlich von der regierenden Bürgerplattform (PO) und dem Bündnis der Demokratischen Linken (SLD) getragenen Entschließung wurden die »zäh und heldenhaft für das Polentum Oberschlesiens und für die Vereinigung mit dem polnischen Staat kämpfenden Aufständischen« gewürdigt. Doch die Vertreter der deutschen Minderheit – in Katowice auch die schlesischen Autonomisten – verweigerten ihre Zustimmung. Ihnen war der Aufstand ein Bürgerkrieg, ja ein »polnischer Aufruhr« und also kein Grund zur Würdigung, betonte in Opole der Vertreter der deutschen Minderheit, Norbert Rasch. Den Satz »Es war ein bewaffneter Angriff auf Deutschlands Integrität« zog er später zurück.
Seit Ende des 18. Jahrhunderts dreigeteilt, war Polen nach dem Ersten Weltkrieg wiedererstanden. Im strittigen Gebiet Oberschlesiens sollte nach dem Willen der Großmächte die Bevölkerung über die Staatszugehörigkeit entscheiden. Darauf entbrannte ein erbitterter polnisch-deutscher Abstimmungskampf, der drei Aufstände einschloss. Der erste im August 1919 begann mit einem vom deutschen »Selbstschutz« niedergemetzelten Generalstreik gegen eine in der Grube Myslowice geplante Aussperrung. Ein Scharmützel zwischen deutschen Kampftruppen und französischen Soldaten eines internationalen Aufsichtskontingents im August 1920 löste den zweiten Aufstand aus. Der dritte schließlich begann, als nach Auszählung des Plebiszits im März 1920 das ganze Abstimmungsgebiet Deutschland zugesprochen zu werden drohte. Während die Deutschen für das Gesamtgebiet ein Ergebnis von 60 zu 40 zu ihren Gunsten errechneten, verlangte die polnische Seite die Berücksichtigung des Stimmenverhältnisses in den einzelnen Kreisen. Nach dem Aufstand entschied der Völkerbund im Oktober 1921, Oberschlesien zu teilen.
Zwei Fakten sind festzuhalten: Auf deutscher Seite stellten Freikorps, die vorher in Bayern, Sachsen und im Baltikum gewütet hatten, die Hauptmacht in den Kämpfen. Und den national erweckten Polen, die in ihrer großen Mehrheit zuvor auf der untersten Stufe niedergehalten worden waren, galten die Deutschen als Unterdrücker. Im Übrigen gilt, dass es standortfreie Historiker nicht gibt. Auch wer ehrlich versucht, sich von damaligen Emotionen zu distanzieren, bleibt national befangen. Dasselbe gilt für Politiker aller Ebenen.
Über die bewusste Entschließung war zuvor in beiden Wojewodschaftsparlamenten drei Monate lang kontrovers diskutiert worden. Ein Kompromiss wurde nicht gefunden. In der Wojewodschaft Opole, die in erheblichem Maße von der deutschen Minderheit geprägt wird, schalteten sich Wissenschaftler der örtlichen Universität in den Streit ein. Etliche Stimmen auf den Internetplattformen der »Nowa Trybuna Opolska« und der Regionalausgabe der »Gazeta Wyborcza« bezeugen, dass die schlesischen Aufstände die Bevölkerung, alt und jung, auch heute noch berühren. Merkwürdigerweise stellten sich 89 Prozent der Teilnehmer einer Umfrage auf die Seite einer Historikerin, die den Inhalt der Entschließung als einseitig propolnisch bezeichnete. Dem Politologen Prof. Sawczuk, der auf der traditionellen polnischen Wertung beharrte, stimmten nur 4 Prozent bei. Nicht zuletzt dürfte dies auf den unverantwortlichen Ausfall Jaroslaw Kaczynskis, des Führers der national-konservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) zurückzuführen sein. Der hatte die Autonomisten Oberschlesiens als Fünfte Kolonne Deutschlands bezeichnet und damit die Stimmung gründlich verdorben.
Der Autor schrieb gemeinsam mit Hannes Hofbauer das Buch »Schlesien – Europäisches Kernland im Schatten von Wien, Berlin und Warschau« (Promedia, Wien 2000), das sich auch mit den Ereignissen nach dem Ersten Weltkrieg befasst.
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