Kunstraum statt Baugruppe
Gegen den rein kommerziellen Verkauf öffentlicher Immobilien regt sich in Weißensee Protest
Ursprünglich stand nur eine schnöde Hausbesichtigung in der ehemaligen Musikschule an. Doch was sich gestern Vormittag in der Falkenberger Straße in Weißensee ereignete, war geradezu filmreif: Zugang zu dem Gebäude, das der Liegenschaftsfonds für den Senat verkaufen soll, hatten die Besichtigungsgäste über den hinteren Hof. Während nach rund einer halben Stunde immer noch ein Dutzend Menschen im und hinter dem Haus unterwegs waren beziehungsweise standen, wurden aus den Vorderfenstern Transparente gehängt. Vor dem Haus sammelten sich derweil zwei Dutzend bunt gekleideter Menschen und stellten ein Sofa, ein Buffet und eine Info-Tafel »Neubelebung Musikschule« auf. Einige begannen zu jonglieren oder Federball zu spielen. Der (ohnehin abgeschlossene) Vordereingang wurde mit einem Klavier verstellt, an dem auch gleich jemand zu klimpern begann.
Von dieser Besetzung merkten die meisten Kaufinteressierten lange nichts. Auch der Beauftragte des Hauswartunternehmens, der nur als »Schlüsselmeister« da war und gelangweilt im Hof herumstand, wunderte sich zwar über die vielen aufgerissenen Fenster, nicht aber über das leise Klaviergeklimper im Hintergrund, und ließ sich in einen Plausch verwickeln. Dass der Liegenschaftsfonds immer mehr städtische Flächen und Objekte verkauft, auch in Weißensee, sei ihm bewusst, aber es helfe alles nichts, denn das Land brauche das Geld. Und wer dann investiere, wolle natürlich Gewinn machen – auch bei diesem Gebäude laufe es auf Eigentumswohnungen hinaus. Alternative Entwürfe? Die gebe es, aber wer mache so etwas schon?
Im konkreten Fall machte eine Gruppe namens »Die Orphs« einen alternativen Vorschlag zur Nutzung der ehemaligen Musikschule. Um »steigenden Mieten im Kiez« und »kulturellem Brachland« entgegenzutreten, wollen sie in dem dreistöckigen Haus billigen Wohnraum für 15 Personen, einen »offenen Kunst- und Aktionsraum« und einen Nachbarschaftsgarten schaffen. Angestrebt wird Selbstverwaltung und eine langfristige Verhinderung von Reprivatisierung.
Für das Haus würden die »Orphs« (der Name hat keine tiefere Bedeutung) auch bezahlen – allerdings, um langfristig billige Mieten zu garantieren, nur einen niedrigen sechsstelligen Betrag, der im freien Bieterverfahren wohl chancenlos wäre. »Unser Reichtum besteht aus Kreativität, Freundschaft, Vielfalt und Selbermachen«, erklärten die recht jungen Leute. Auch der Sanierungsbedarf des Hauses schreckt sie nicht.
Ein Kaufinteressent aus dem Viertel, der eine Baugruppe vertritt, berichtete von viel Feuchtigkeit in Keller und Dach. Allein das Grundstück von 1400 Quadratmetern habe einen Wert von 280 000 Euro. Die Architekten Helmut Klippel und Dirk Münkel, die das Gebäude für die »Baugemeinschaft Musikschule Weißensee« inspizierten, erklärten sich ähnlich.
Nachdem der Besichtigungstermin fast vorbei war, kam der Hauswart schnaubend um die Ecke. Das Hoftor war mit zwei Schlössern versperrt – die Besetzung wurde nun offensichtlich. Der Mann knackte die Schlösser und rief die Polizei.
Die traf wenig später drinnen und draußen mehr als 30 Personen an, stellte deren Identität fest. Darunter war auch der Bezirksverordnete Patrick Technau (LINKE), der nach eigenen Angaben mit der Polizei zusammen das Haus betrat. Ob die Anzeigen wegen Hausfriedensbruchs aufrecht erhalten werden, konnte der Liegenschaftsfonds gestern nicht endgültig erklären. Für den Abend hatten die »Orphs« zu einer Spontandemonstration aufgerufen.
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