Zwischen Schönheit und Vergänglichkeit
Morbide Porträts und Plastiken von Glenn Brown bei Max Hetzler Temporary
Es gehe ihm darum, frische Arten der Pinselführung zu erfinden und müde gewordene Bilder neu zu beleben, äußerte Glenn Brown 2005 in einem Interview. Beides vertritt der 1966 im britischen Hexham geborene Maler und Plastiker auf brillante Weise. Seine kleine, aber aufschlussreiche Personalausstellung durch die Galerie Hetzler Temporary gehört sicher zum Aufregendsten und zugleich Verblüffendsten in der gegenwärtigen Berliner Kunstlandschaft. Für neun Werke teils gewaltigen Formats, alle 2010 und 2011 entstanden, wurde eine große Charlottenburger Privatwohnung zum Besichtigungsraum umfunktioniert. Dort stehen respektive hängen die Arbeiten, jeweils eine vor grauer Wand, die den Kontrast zu Browns exzessiv eingesetzter Farbigkeit noch steigert. All die Werke fußen auf Vorlagen alter Meister, ohne sie, wie Brown betont, bloß zu zitieren: Vielmehr trägt seine Herangehensweise die Originale zu neuen künstlerischen Ufern, zieht sie radikal in eine so aggressiv wie differenziert gewordene Gegenwart. Wie delikat Brown hierbei Farben zu setzen und einzusetzen weiß, verleiht seinen durchaus schockierenden Exponaten auch etwas künstlerisch Kulinarisches. Er beginne, sagt Brown, jeweils mit einer Skizze, blättere dann in Büchern und Katalogen, um jenen Künstler und dessen Bild zu finden, die ihn zu Weiterem anregen. Dabei mischen sich bisweilen Einflüsse und Bezüge, machen das fertige Werk zu etwas gänzlich Eigenem.
So trägt »Woman I« den Titel einer Ölmalerei des Amerikaners Willem de Kooning aus den 1950ern, wird bei Brown indes zur 1,35 Meter hohen Plastik. Wie einem dünnen Stamm entwächst sie der Platte eines Bürgersteigs, lädt dann nach allen Seiten aus und sammelt um ein unsichtbares Gerüst aus Stahl und Glasfiber Farbe, die entweder gleich aus der Tube oder aber mit dickem Pinsel aufgedrückt wurde. Je nach Standpunkt des Betrachters könnte die Frau auf einem Bein stehen oder sich gerade im Schreiten befinden. Die fast gallige Farbigkeit des Objekts macht es zum Rundum-Sehabenteuer. Entschieden kleiner fällt »Fée aux Fleurs« aus, direkt auf eine Bronzeplastik des Franzosen Louis Moreau aufgebracht. Die Füße der Fee auf dem Rundsockel sind noch zu sehen, ihre Figur umwellt fingerdicke Farbe wie ein im Sturm flatterndes Gewand.
Wie Brown seine Manier auch in der Malerei beibehält und dabei ganz erstaunliche, augentrügerische Wirkung erzielt, weisen die Bilder aus. »Carnival«, mit 1,60 x 3,20 Metern voluminösestes Exponat, orientiert sich an der Zeichnung eines Pferdekopfs von Adolph Menzel, hypertrophiert ihn aber in Farbe und Format. Vor einem Wolkenhimmel hebt sich jener Kopf ebenfalls in Blau ab, mit Aufhellungen in Gelb, Grün, Rot. Nach unten grenzt partiell ein grauer Streifen ein. Ebenso zähflüssig aufgetragen wie bei den Plastiken scheint auf den ersten Blick die Farbe: Bei genauerem Hinsehen erkennt man, dass Brown den Effekt eines Zottelfells in extrem dünnem Pinselstrich erzeugt und so überaus gründlich modelliert. Ähnlich geht er bei den Männerporträts vor. Hält sich »Die große Nacht im Eimer«, einen Titel von Georg Baselitz aufgreifend, an Fragonards Vorlage, so ist auch »The Shallow End« ein Oval gleicher Größe. Zeigt das erste Werk einen Alten im Profil mit in allen Farben wallendem Bart und geschlossenen Augen, so fehlen dem Zweiten mit Gelbhaar und Kräuselbart gänzlich die Augen: Schon scheint ihn der Tod zu umlauern. Noch mehr vermittelt »Almond Blossom« diesen Eindruck. Dick wurstet sich das Fleisch um den altersgebeugten Nacken eines Greises mit rotem Resthaar, Ohr zerklüftet, Nase knorrig, verschwollen die Augen, Gesichtshaut den Muskelsträngen darunter geopfert, als sei man in von Hagens’ Panoptikum der präparierten Kadaver. Von Mandelblüte keine Spur mehr. Abstoßend und anziehend auch »Nigger of the World« nach einer Songzeile John Lennons.
Von Rembrandts »Susanna im Bade« bleibt der wie erschrocken sich vorbeugende nackte Leib, überdeckt von schwärenden Wunden wie der Gekreuzigte bei Grünewald, der Kopf aufgehend im Blau des Fonds und wie unter schwarzer Haarpracht, in die sich die eine Hand flüchtet. Selbst das rote Knautschbouquet in »The Life Hereafter« nach van Gogh atmet Sterben und Vergänglichkeit; die malerische Raffinesse verewigt jenen Untergang in der Kunst.
Bis 28.5., Di.-Sa. 11-18 Uhr, Galerie Max Hetzler Temporary, Bleibtreustr. 45, Charlottenburg, Telefon 45 97 74 20, Infos unter: www.maxhetzler.com
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