Fett und Filz
Heute wäre Joseph Beuys 90 geworden
Heute vor 90 Jahren wurde Beuys geboren, aber er wurde nur 65 Jahre alt. Von allen bildenden Künstlern aus der alten Bundesrepublik erregte er wohl die größte Aufmerksamkeit, er war am heftigsten umstritten. Er beteiligte sich einfallsreich gleich an mehreren neuartigen Tendenzen künstlerischer Praxis und provozierte seine Gesellschaft überdies mit politischen Aktivitäten. Bis heute kann seinen vielen, oft unklar bleibenden Ideen und Produkten von verschiedenen Positionen aus gleichzeitig zugestimmt und widersprochen werden.
Joseph Beuys aus Kleve studierte ab 1947 Bildhauerei in Düsseldorf und wurde dort 1961 zum Professor berufen. Kurz danach schloss er sich der in den USA aufgekommenen Tendenz an, Happenings (Geschehnisse), auch Performances oder Aktionen genannt, zu veranstalten, statt Skulpturen zu schaffen, gab aber die Anfertigung und Ausstellung von festen Objekten nicht auf. Allerdings benutzte er dazu völlig unübliches Material, besonders Fett und Filz. Für ihn strömten diese Stoffe lebenspendende Wärme aus.
1965 begann er, »Multiples« über den Kunsthandel zu verbreiten und so ein von der Druckgraphik bekanntes Verfahren, viele übereinstimmende Originale zu schaffen, auf serienmäßig produzierte Objekte in Behältern zu übertragen. Das Objekt konnte auch nur eine von Beuys gezeichnete Linie, genannt »Intuition«, in einem Kästchen sein – mehrere tausend Mal für 8 Mark verkauft.
1967 gründete Beuys eine Deutsche Studentenpartei als Diskussionsforum, später eine Organisation für direkte Demokratie, und in den 70er Jahren wollte er für die Grünen kandidieren. Das hatte mit seinen Ideen zu tun, dass die Gesellschaft eine »soziale Plastik« sei, die von den Menschen geformt werde, und dass jeder Mensch ein Künstler sei. Der letztere Gedanke ließ ihn gegen die Eignungsprüfungen für Studienbewerber protestieren. Er nahm alle Abgewiesenen in seine Klasse auf und besetzte dazu 1972 das Sekretariat der Kunstakademie. Die Polizei führte ihn ab und der zuständige Minister Johannes Rau entließ ihn fristlos. Nach sechs Jahren Streit vor Gerichten musste das zurückgenommen werden.
Der Konflikt von Beuys mit akademischen Traditionen und mit der Staatsgewalt war ein Teil der Änderungsbestrebungen, die 1968 in Westeuropa eingesetzt hatten, und seine Aktionen und Objekt-Kunst waren besonders auffallende Beispiele für eine von immer mehr Künstlern betriebene »Erweiterung des Kunstbegriffs«. Das machte Beuys für Kunsthändler, Privatsammler und Museen zusehends attraktiv. Er brachte es schließlich auf rund 70 Aktionen, 50 Installationen und 130 Einzelausstellungen in vielen Ländern.
Von den Aktionen Beuys' seien zwei erwähnt. 1974 verbrachte er drei Tage und Nächte hinter den Schaufenstern einer leeren Galerie in New York, zusammen mit einem Kojoten, einem Steppenhund, der sich langsam an ihn gewöhnte, und bekannte damit »Ich liebe Amerika, und Amerika liebt mich«. 1982 begann er mit vielen Helfern in Kassel die »Stadtverwaldung« durch Anpflanzung von 7000 Eichen, neben die jeweils ein Steinblock gelegt wurde, entlang der Straßen. Die Vollendung erlebte er nicht. Seine letzte Aktion war, dass er nach seinem Tod 1986 seine Asche in die Nordsee streuen ließ.
Für seine Installationen erwarb und bearbeitete Beuys bereits Hergestelltes, wie das gelegentlich Picasso und Duchamp am Jahrhundertbeginn getan hatten, nur in ganz neuen Dimensionen. »Das Rudel« (1969, heute Neue Galerie Kassel) bestand aus 32 Rodelschlitten mit Filzdecken, Fett und Stablampen, die aus einem VW-Kombi gleichsam als Rettungshunde losgeschickt wurden. Für »Wirtschaftswerte« füllte er Regale mit verpackten Waren des täglichen Bedarfs, die er heimlich in der DDR kaufen ließ. Eine eindrucksvolle Ausnahme von den Alltagsprodukten: 44 zerbrochene Basaltblöcke, die als Trümmerlandschaft »Das Ende des 20. Jahrhunderts« symbolisieren sollen.
Dass jeder Mensch ein Künstler sei, klingt sehr human. Wenn Beuys aber gegen Eignungsprüfungen revoltierte, missachtete er vorhandene Begabungsunterschiede. Berechtigtes Misstrauen gegen staatliche Regelungen darf auch nicht dazu führen, dass Volksabstimmungen über künstlerische Qualität entscheiden, weil jede Neuerung erst einmal nur einer Minderheit zusagt.
Beuys schuf sich seine eigene, anthroposophisch gefärbte Welt- und Kunstanschauung, inszenierte sich als Ausnahmeerscheinung. Das erwies sich als ungefährlich für das westliche System, verlockte aber einige oppositionelle Künstler in der DDR ebenfalls zu Aktionskunst. Dieser störende Gegensatz zum dort vorherrschenden Realismuskonzept wurde unterdrückt.
Im verkrampften Bemühen um Verständigung mit der Bundesrepublik ließ man aber 1988 eine Ausstellung aus der Sammlung van der Grinten in der Berliner Akademie der Künste und in Leipzig zu, und Johannes Rau, der einst Beuys entlassen hatte und nun Ministerpräsident von NRW war, pries jetzt den Verstorbenen, der inzwischen zum internationalen Vorzeigekünstler der Bundesrepublik geworden war.
Gewisse Ähnlichkeiten in der Verquickung seltsamer künstlerischer Einfälle mit der Einmischung in Politik beobachten wir gegenwärtig bei dem Chinesen Ai Wei Wei.
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