Auf dem rechten Auge blind
Eine Schau in Mainz widmet sich dem Spannungsfeld zwischen Satire und Justiz
Mainz. Ein Strauß in Hakenkreuz-Form oder der auf dem rechten Auge blinde Richter. Satire, die einst für Abscheu, Empörung und Strafanzeigen sorgte. Fern noch die Zeit, da wie heute Politiker oder Wirtschaftsbosse alle Pointen eines Dieter Nuhr oder Urban Priol schlicht hinnehmen und erdulden. In den nunmehr 110 Jahren seiner Geschichte in Deutschland hat das Kabarett so manche juristische Schlacht gefochten – und meist obsiegt. Dies weiß Matthias Thiel zu berichten, Kurator der ersten Ausstellung, die sich dem Thema »Satire und Justiz« widmet. Ob Zensur von Texten, abgesetzte Programme oder beschlagnahmte Plakate – all dies beleuchtet vom nächsten Montag an die Schau des Deutschen Kabarettarchivs in Mainz.
»Es geht uns um die Darstellung des Spannungs- und Wechselverhältnisses von Satire, wo sie in den Bereich des Strafrechts kommt«, sagt Archivleiter Jürgen Kessler. Und, so ergänzt der Leitende Oberstaatsanwalt von Mainz, Klaus-Peter Mieth: »Darum, wie sich die Justiz in dieser Zeit entwickelt hat, was solche Vorwürfe angeht.« Gab es einst noch den Straftatbestand der »Verbreitung unzüchtiger Schriften«, der etwa auch bei satirischen Darstellungen nackter Oberkörper auf dem Programmheft zum Zuge kamen, regt sich darüber heute keiner mehr auf. So wandelte sich die Gesetzgebung in dem Maße, wie die Gesellschaft entspannter wurde.
»Nicht nur die Gerichte, auch beispielsweise die Kirche ist dahin gehend klüger geworden, dass sie Angriffe erst durch ihre Reaktion so richtig publik und populär macht«, sagt Thiel. Und, so ergänzt Kessler: »Satisfaktionsfähig ist man heute als Politiker doch erst, wenn der Satiriker einen persifliert.« Aber das war eben nicht immer so: Die Ausstellung, die in der Staatsanwaltschaft Mainz auf 26 Bilder- und Texttafeln präsentiert wird, zeichnet anhand von Fotos, Textauszügen oder Gerichtsprotokollen einen Weg durch die Jahrzehnte, in denen es noch einigen Mut erforderte, auf der Bühne seine – satirisch überhöhte – Meinung zu sagen oder sie auf Plakaten abzubilden. Durchaus damit rechnend, dass ein juristisches Nachspiel folgen könnte.
»Meist ging es um Religion, Pornografie oder Majestäts-/Persönlichkeitsbeleidigung«, sagt Thiel. So musste der heutige Präsident der Akademie der Künste in Berlin, Klaus Staeck, wegen seiner provozierenden Grafiken und Plakate nach eigenen Angaben rund 40 Prozesse führen. »Ich habe immer die Auseinandersetzung mit Rüstungskonzernen, Parteien oder auch Chemiekonzernen gesucht und dabei jedes Mal die Grenzen der Meinungsfreiheit ausgelotet«, sagt er heute. Staeck thematisierte einst auch die Justiz selbst wie mit dem Plakat des auf dem rechten Auge blinden Richters.
Früher wurde auch flugs mal die »Verunglimpfung des Staates« ins Feld geführt, sobald auf einem Satire-Magazin eine Nationalflagge prangte, wie Mieth erläutert. Noch Mitte der 80er Jahre mussten sich »Die 3 Tornados«, eine Berliner Kabarettgruppe, einem Prozess wegen Gotteslästerung stellen. Sie hatten in einem Sketch Maria und Josef als kiffendes Paar dargestellt. Eines der bekanntesten Beispiele juristischer Konsequenzen (hier aber nach DDR-Maßstab) war die Ausbürgerung Wolf Biermanns nach einer Konzertreise in der Bundesrepublik. Jahrzehnte zuvor war der Kabarettist Werner Finck von den Nazis mit Berufsverbot belegt und ins KZ gesperrt worden.
Auch die Satire-Zeitschriften »Pardon« und »Titanic« fochten manchen Streit vor Gericht aus. »Titanic« musste nach Angaben Thiels 40 000 Mark für ein Cover mit Björn Engholm in der Badewanne – als Anspielung auf den Tod Uwe Barschels – blechen. »Das nach Titanic-Angabe höchste Bußgeld, das im Bereich der Satire bis heute verhängt wurde.« Auch der wohl berühmteste Satiriker und Jurist zugleich, Kurt Tucholsky, geriet immer wieder ins Kreuzfeuer der Kritik. Von ihm stammt schließlich das berühmte Zitat »Was darf die Satire? Alles«. Heute scheint dies zumindest in der schwindenden juristischen Auseinandersetzung die Bestätigung zu finden.
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