Dogma Wettbewerb

  • Gabi Zimmer
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Europaabgeordnete der LINKEN ist u.a. Stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten.
Die Europaabgeordnete der LINKEN ist u.a. Stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten.

Als der französische Außenminister Robert Schuman im Mai 1950 vorschlug, die westdeutsche und französische Kohle- und Stahlproduktion einer gemeinsamen Behörde zu unterstellen, war das eine Sensation. Der Krieg war erst wenige Jahre vorbei, da sprach der Pragmatiker Schuman bereits vom »Grundstein für eine Europäische Föderation«. Frankreich ging es vor allem um eine wirksame Kontrolle der westdeutschen Schwerindustrie. Die Idee der »Kontrolle durch Integration« ersetzte die unmittelbare Kontrolle der alliierten Siegermächte über die deutsche Industrie. Ein historisches Friedensprojekt, das das friedliche Zusammenleben zwischen den integrierten Staaten Europas seither gesichert hat.

60 Jahre nach ihrer Gründung ist aus der Montanunion tatsächlich fast eine Föderation geworden. Die Bundesrepublik wurde mit fortschreitender europäischer Integration mächtiger, 1990 wurde aus BRD und DDR Deutschland. Die Europäische (Wirtschafts-) Gemeinschaft wurde 1993 zur Europäischen Union. Trotz der politischen Idee einer friedenssichernden europäischen Einigung, trotz Grundrechtecharta, Unionsbürgerschaft und Versuchen einer gemeinsamen Außenvertretung bleibt die EU vor allem ein wirtschaftliches Integrationsprojekt, mit der Liberalisierung und Privatisierung in den Mitgliedstaaten vorangetrieben werden. Denn die Grundfreiheiten des Binnenmarktes bedeuteten, dass das Kapital beinahe keiner Beschränkung oder demokratischer Regulierung unterstellt sein darf. Im Konflikt mit sozialen Rechten der BürgerInnen der EU, die nach wie vor national und nicht europäisch verankert sind, schlägt der König stets den Bauern.

Nicht erst seit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt von 1997 treibt Deutschland die anderen Mitgliedsstaaten wirtschaftspolitisch vor sich her. Statt einer Dominanz der sozialen Kohäsion, der (republikanischen) Demokratie und des (äußeren) Friedens ist die EU heute eine zwischenstaatliche Arena, in der Wettbewerb zum religiösen Dogma geworden ist. Das neoliberale »Jeder gegen Jeden« ist bereits in den EU-Verträgen angelegt und beinahe jede EU-Richtlinie atmet diesen Geist. Um »der wettbewerbsfähigste Wirtschaftsraum der Welt« zu werden, lassen es die EU-Staaten nicht unversucht, die sozialen Errungenschaften der Menschen als »Kostenfaktoren« abzubauen. Damit spitzt die EU die Krise weiter zu, anstatt ihre Ursachen zu beseitigen. Auch die Militarisierung der EU schreitet voran, wenngleich die militärischen Einzelinteressen der Staaten noch eine ganze Weile überwiegen werden.

Das Europäische Parlament wird heute von Konservativen und Liberalen dominiert. Es ist in den letzten Jahren in seinen demokratischen Rechten zwar erheblich gestärkt worden, kann sich aber gegenüber dem Rat, den Regierungen der mächtigen Mitgliedsstaaten, vorneweg Deutschland, nur schwer behaupten. Noch hat die Linke Europas die EU nicht als ihr Projekt angenommen, kämpft sie nur halbherzig um einen anderen Entwicklungsweg der EU. Das muss sich ändern. Die Linke kann die EU nicht einfach neu erfinden, aber sie kann und muss sich um demokratische europäische Mehrheiten mühen. Überhaupt wird sich an der Demokratiefrage die Zukunftsfähigkeit der EU entscheiden. Dabei geht es um die Mitsprache der BürgerInnen ebenso wie um den solidarischen Interessenausgleich zwischen ökonomisch starken und kleineren Mitgliedern der EU und auch der Eurozone. Europa muss sich weiter integrieren, wenn die soziale Spaltung aufgehoben werden soll. Womöglich steht am Ende des mit der Montanunion begonnenen Prozesses eine demokratische Union als Bundesstaat. Die Demokratischen Sozialisten und Kommunisten sollten sich für eine breite Debatte um eine linke Vision Europas und für alternative Politikangebote zur europäischen Entwicklung öffnen.

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