Mehr Big Brother in der U-Bahn

Wowereit verkündet zusammen mit BVG und Polizei Sicherheitspaket für öffentlichen Nahverkehr

  • Tim Zülch
  • Lesedauer: 3 Min.
Herzstück der Videoüberwachung im öffentlichen Nahverkehr: die BVG-Sicherheitszentrale
Herzstück der Videoüberwachung im öffentlichen Nahverkehr: die BVG-Sicherheitszentrale

200 zusätzliche Polizisten bekommt Berlin, um die Sicherheit auf den U-Bahnhöfen der Stadt zu verbessern. Das kündigte der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) gestern auf einer Pressekonferenz im Roten Rathaus gemeinsam mit BVG-Chefin Sigrid Evelyn Nikutta und Polizeipräsident Dieter Glietsch an.

Die zusätzlichen Beamten sollen bereits diesen Herbst ausgebildet und ab 2013 einsatzbereit sein. Dann werden sie zusammen mit BVG-Sicherheitspersonal auf U-Bahnhöfen als Doppelstreifen patrouillieren.

Der Regierende Bürgermeister reagiert mit dieser Maßnahme auf die Übergriffe, die in den vergangenen Wochen auf U-Bahnhöfen stattfanden, und auf die sich anschließende Sicherheitsdebatte.

Zuletzt hatten Jugendliche am vergangenen Sonntag einen 14-Jährigen auf einem U-Bahnhof in Reinickendorf zusammengeschlagen. Am Osterwochenende war ein Mann auf dem U-Bahnhof Amrumer Straße von Jugendlichen schwer verletzt worden. Auch im Februar und im März war es bereits zu gewalttätigen Übergriffen im Bereich des öffentlichen Nahverkehrs der Hauptstadt gekommen.

Wowereit konstatierte im Zusammenhang mit diesen Taten eine »nicht mehr existierende Hemmschwelle« bei Jugendlichen, wodurch sich auch viele Fahrgäste bedroht fühlten. Allerdings wies Wowereit auch darauf hin, dass die Kriminalität in Berlin seit Jahren rückläufig sei. »Es hat eine Häufung gegeben, aber das ist nicht der Trend«, sagte Wowereit. Dennoch geht der Regierende Bürgermeister mit dem jetzt beschlossenen Maßnahmenpaket in die Offensive und positioniert sich im Wahlkampf auf dem Gebiet der Inneren Sicherheit. Zusätzlich zu der Stellenaufstockung bei der Polizei wird ein Polizeibeamter von nun an permanent in der Sicherheitsleitstelle der BVG anwesend sein und über eine Standleitung mit seiner Wache Verbindung halten. Außerdem soll eine »Aktive Videoüberwachung« an neuralgischen Punkten eingeführt werden.

Dann könne der gesamte Bahnhofsbereich kontrolliert werden, sagte BVG-Chefin Nikutta. Auch wolle die BVG die Möglichkeit schaffen, Täter auf den U-Bahnhöfen direkt über Lautsprecher anzusprechen. Ein Vorhaben, das Nikutta als »ein bisschen Big Brother is watching you« bezeichnete.

Insgesamt 30 Millionen Euro will Wowereit in die Hand nehmen, um die geplanten Maßnahmen umzusetzen. Geld, das der Landeshaushalt zu tragen habe. Bei der BVG soll es wegen der angekündigten Sicherheitsmaßnahmen keine Fahrpreiserhöhung geben, versprach Nikutta.

Die Sicherheitsinitiative stieß bei allen Fraktionen im Abgeordnetenhaus auf Zustimmung. Die FDP forderte allerdings ein integriertes Sicherheitskonzept für den öffentlichen Personennahverkehr, bei dem auch die S-Bahn involviert ist. Linksfraktionschef Udo Wolf erklärte, das Paket sei eine »gute Botschaft für mehr U-Bahn-Sicherheit«. Damit werde den »langjährigen Forderungen« der Linkspartei nach »mehr Personal auf Bahnsteigen endlich Rechnung getragen«. Allerdings sollten auch Präventionsprojekte aktiver unterstützt werden, verlangte Wolf.

Allen Maßnahmen zum Trotz sollte jedoch nicht vergessen werden: Gewalt ist vor allem ein gesellschaftliches Problem. Der renommierte Bielefelder Soziologe Wilhelm Heitmeyer stellte etwa in seiner Studie »Deutsche Zustände« jüngst fest, dass vor allem die zunehmende Entsolidarisierung in der Leistungsgesellschaft zu Gewalt bei Jugendlichen führe. Sie fühlen sich demnach abgehängt, nicht geachtet und haben Angst. Vor allem die Finanzkrise habe, so Heitmeyer, zu großen Ängsten in der Bevölkerung geführt.

Verunsicherung, die auch der Kriminalist Klaus Boers beobachten konnte. Sein Resümee: »Soziale Resignation geht mit negativen Erfahrungen in der Schule und des Weiteren geringer Akzeptanz von rechtlichen Normen einher.«

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