Eingeübte »Schockschläge«

Bundespolizisten wegen Gewalt auf dem Bahnhof Alexanderplatz verurteilt

  • Lesedauer: 3 Min.
Peter Kirschey aus Berliner Gerichtssälen
Peter Kirschey aus Berliner Gerichtssälen

Herr René, 24 Jahre, ist – man kann es ruhig sagen – ein Ferkel. Manche würden auch einen drastischeren Ausdruck benutzen, denn René hat, so ist es amtlich festgehalten, am 21. Februar 2010 gegen 1 Uhr auf dem Bahnhof Alexanderplatz gepinkelt. Dabei wurde er von drei Beamten der Bundespolizei, die für die Sicherheit auf Bahnhöfen zuständig sind, beobachtet. Sie ließen ihn auf dem Übergang von der S- zur U-Bahn, wie sie sagten, sein Geschäft verrichten und machten den kräftig alkoholisierten Mann anschließend darauf aufmerksam, dass er soeben eine Ordnungswidrigkeit begangen habe, die nun geahndet werden müsse.

Bis zu diesem Zeitpunkt decken sich die Aussagen. Was danach geschah, dazu gibt es grundsätzlich verschiedene Darstellungen. Zuerst die zwei Polizisten, die gestern wegen des Vorwurfs der falschen Verdächtigung und der gefährlichen Körperverletzung im Amt vor Gericht standen. Der Pinkler sei uneinsichtig gewesen, erfahren wir, es kam zu einem Gerangel, er habe versucht, sich aus dem Festhaltegriff zu lösen. Dabei ging René dem Bundespolizisten Angelo (23) an den Kragen, wie dieser sagt. Er fühlte sich gewürgt, verdrehte die Augen und schlug den vermeintlichen Angreifer mit der Faust gezielt ins Gesicht. Um zu zeigen, wer hier die Staatsmacht ist, schlug er noch zwei-, dreimal nach und René ging blutend zu Boden, schrie um Hilfe und nach Zeugen. Bundespolizist Benjamin (29) bestätigte die Aussage seines Kollegen. Fühlt ein Beamter sich bedroht, lassen die Polizisten raus, geht es nicht so sehr darum, einen möglichen Angriff abzuwehren, sondern ihn mit so genannten »Schockschlägen« kampfunfähig zu machen. Das habe man so in der Ausbildung gelernt und Angelo habe nichts anderes getan, als seine Pflicht zu erfüllen. Das bestätigte auch der Vorgesetzte, der an diesem Tag ebenfalls vor Ort war, das genaue Geschehen aber nicht beobachtet hatte. Er habe mit seinen Kollegen jedoch darüber gesprochen, dass es nicht besonders schön aussehe, wenn ein Uniformierter einen Zivilisten mit einem Fausthieb niederstrecke.

Doch es gab auch zwei unbeteiligte Zeugen, die das Geschehen beobachtet hatten. Sie gaben zu Protokoll und bestätigten das vor Gericht, dass der kräftige Beamte unvermittelt zugeschlagen habe. Einen Angriff oder Würgeakt, wie von den Polizisten behauptet, habe es nicht gegeben.

Die Staatsanwaltschaft fühlte sich durch die Verhandlung in ihrer Anklage bestätigt. Um die Gewalttat an René zu vertuschen, hätten die beiden Polizisten ihn unter Vorspiegelung falscher Tatsachen wegen Körperverletzung im Amt angezeigt. Die Aussagen der Zeugen, die unverdächtig seien, im Sinne des Opfers zu lügen, hätten glaubhaft das wahre Geschehen ans Tageslicht gebracht. Der Staatsanwalt forderte je acht Monate Haft auf Bewährung. Die Verteidiger stützten sich auf die Polizeiaussagen und werteten die Zeugenaussagen der Passanten als unglaubwürdig. Sie forderten Freispruch. Für die Richterin war die Gewalttat bewiesen, sie blieb aber unter dem Antrag der Staatsanwaltschaft und verhängte Geldstrafen. 9800 Euro muss der Schläger zahlen, der mitangeklagte Kollege soll 4875 Euro blechen.

Im Saal saßen mehrere Kollegen der verurteilten Polizisten. Als das Urteil gesprochen wurde, reagierten sie empört und sprachen von »Klassenjustiz«. So unterschiedlich sind die Wahrnehmungen von einer Klassenjustiz.

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