Der ganze Stolz der SPD
Wowereit einstimmig zum Spitzenkandidaten gewählt / Wahlprogramm verabschiedet
Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) will es noch einmal wissen. Einstimmig, ohne Enthaltung oder Gegenstimme, wurde Wowereit am vergangenen Freitagabend von den 215 sozialdemokratischen Delegierten auf einem Landesparteitag in Kreuzberg erneut zum SPD-Spitzenkandidaten gekürt. Damit tritt Wowereit, der am 16. Juni sein zehnjähriges Amtsjubiläum begeht, bereits zum dritten Mal für den Posten des Regierenden Bürgermeisters in Berlin an. Sein Ziel: »Gemeinsam ein hervorragendes Ergebnis für die Sozialdemokratie zu erzielen.«
»Ich glaube, die SPD hat viele andere, aber nicht einen so guten wie mich«, hatte Wowereit zuvor in einer kämpferischen, einstündigen Rede gegenüber den Delegierten gescherzt, die seine Nominierung für die Wahl am 18. September anschließend mit minutenlangem Klatschen und Jubel bedachten. Amtsmüde, so Wowereit, sei er jedenfalls noch lange nicht. Tatsächlich blüht der Regierende derzeit im Wahlkampf auf – das ist auch an diesem Abend in der riesigen Industriehalle am Gleisdreieck spürbar. Denn trotz lausiger Akustik gelingt es Wowereit immer wieder, die SPD-Delegierten mitzureißen. Auch mit scharfen Attacken gegen die politische Konkurrenz. »Einige wollen aus Berlin ein Biotop machen«, ätzt der SPD-Spitzenkandidat etwa gegen die Herausforderin der Grünen, Renate Künast. Den Konservativen und der Linkspartei hält er vor: »Andere wollen, dass alles immer so bleibt, wie es ist, aber dann gibt es keine Zukunft.«
Den Hauptteil der Rede Wowereits nimmt aber die Bilanz seiner eigenen Regierungstätigkeit seit 2002 ein und der Ausblick auf die kommende Legislaturperiode. »Eine erfolgreiche Leistungsbilanz der letzten zehn Jahre«, wie er in Hinblick auf die Bewältigung des Bankenskandals, den anschließenden Sparkurs und die durchgeführten »Strukturreformen« betont.
Dass die Sozialdemokraten in der Hauptstadt »stolz« auf ihre Politik sind, ist auch an den überall in der Halle hängenden Plakaten sichtbar. »Gebührenfreie Bildung von der Kita bis zur Uni« steht auf einem. Auf einem anderen heißt es »Über 100 000 neue Arbeitsplätze seit 2006«. Zusätzlich ziert immer der SPD-Slogan »Stolz auf Berlin« die Plakate. Er steht auch in riesigen Lettern auf der Wand hinter der Rednertribüne.
Das Rezept, wie die Berliner Sozialdemokraten die Wahlen zu gewinnen gedenken, erinnert dabei stark an die Vorgabe der siegreichen Hamburger SPD, der es mit den Schwerpunkten Wirtschaft und Soziales im Februar zum Auftakt des Superwahljahres gelungen war, in der Hansestadt die absolute Mehrheit zu gewinnen. Um seine Parteifreunde in der Hauptstadt zu unterstützen, ist der Erste Bürgermeister der Hansestadt, Olaf Scholz, ebenfalls an diesem Abend nach Kreuzberg gekommen. Scholz, der »Hoffnungsträger« der SPD, macht den Berliner Sozialdemokraten Mut. Es sei wichtig, sagt er, dass es mit der Wirtschaft funktioniert. Und: »Wowereit steht für diese wirtschaftliche Kompetenz.« Der zentrale Unterschied zur konservativen Konkurrenz sei jedoch, so Scholz, dass die SPD nicht nur die Arbeit schätze, sondern auch »diejenigen, die die Arbeit leisten«.
Da war es wieder, das Erfolgsrezept aus Sozialem und Wirtschaft, das sich als Schwerpunkt auch in dem 53-seitigem »Berlinprogramm 2011-2016« widerspiegelt. Es wurde am Freitag ebenfalls verabschiedet – mit einer Gegenstimme. Der SPD-Landeschef Michael Müller hatte die undankbare Aufgabe, die Inhalte vorzutragen. Vielen Sozialdemokraten war da nach der geschlossenen Kandidatenkür Wowereits eher nach einem Bier, denn nach Arbeitslosigkeit, A 100 und Daseinsvorsorge zu Mute. Draußen vor der Tür fand sich das Gesuchte. »Eine One-Man-Show«, hatte Wowereit gesagt, will er nicht sein. An diesem Abend war er es einmal mehr.
Wahlprogramm der SPD
WIRTSCHAFT: Berlin als Hauptstadt nachhaltiger ökologischer Zukunftsindustrien ausbauen; Gründung landeseigener Stadtwerke; Einführung einer »City Tax«; Privatisierte Anteile an Berliner Wasserbetrieben zurückkaufen; Strom- und Gasnetze rekommunalisieren; existenzsichernde Löhne, mehr Migranten beschäftigen.
SOZIALER ZUSAMMENHALT: an 2000 Kitas sollen Familienzentren für Beratung geschaffen werden; Kinderbetreuung flexibler gestalten; Achtung anderer Kulturen und Bräuche; Anerkennung ausländischer Abschlüsse; bezahlbare Mieten in allen Bezirken sichern; Öffentlichen Wohnungsbestand auf rund 300 000 Wohnungen ausbauen.
BILDUNG: Keine neue Schulstrukturreform bis 2016; letzte drei Kita-Jahre und Studium gebührenfrei halten; Anzahl der Ganztagsschulen auch an Gymnasien ausbauen; Sozialpädagogen an allen Brennpunktschulen; Hortplätze auch für 5. und 6. Klassen; bis 2013 Rechtsanspruch für Über-dreijährige auf Ganztagsplatz; Zahl der Schulabbrecher halbieren.
STADTENTWICKLUNG UND VERKEHR: Neubau einer Zentral- und Landesbibliothek auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tempelhof; nach Schließung des Flughafens Tegel Gelände zum Forschungsstandort entwickeln; Stadtschloss als Humboldt-Forum bauen; BBI als internationalen Flughafen realisieren; Stadtautobahn A 100 weiterbauen. dpa
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!