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Sommerfeld und seine Siedlungen
Jüdischer Bauunternehmer förderte Architektur der Moderne und musste vor den Nazis flüchten
Sie gilt als größter Restitutionsfall nach der deutschen Wiedervereinigung: die Sommerfeld-Siedlung in Kleinmachnow. Hier ließ der jüdischen Bauunternehmer Adolf Sommerfeld ab Anfang der 1930er Jahre hunderte Eigenheime errichten und verkaufen. Die Typenhäuser wurden für 12 900 Reichsmark schlüsselfertig übergeben. Die Eigentümer benötigten anfangs nur 4900 Reichsmark Eigenkapital, dann sogar nur noch 3200 Reichsmark. Den Rest der Summe durften sie abstottern. So konnte sich der Traum vom Häuschen im Grünen auch für Familien aus der Mittelschicht erfüllen.
Celina Kress hat ein Buch über den 1886 geborenen Adolf Sommerfeld und seine Projekte geschrieben. Es heißt: »Adolf Sommerfeld – Bauen für Berlin 1910 bis 1970«. Es liefert wertvolle Hintergrundinformationen über Leben und Werk dieses Mannes.
Sommerfelds Vorfahren verdienten ihre Brötchen als Messerschmiede. Er selbst half als Kind seinem Vater, die Messer auf den Dörfern in der Provinz Posen für 20 bis 40 Pfennig das Stück zu verkaufen. Doch der Vater sah ein, dass Erzeugnisse aus Fabriken dieses Gewerbe über kurz oder lang ruinieren werden. Deshalb empfahl er seinen Söhnen, solche Handwerksberufe zu erlernen, von denen er meinte, dass Maschinenarbeit sie nicht ersetzen könnten. Adolf absolvierte in Berlin eine Zimmermannslehre, besuchte hernach von 1905 bis 1907 die Baugewerkschule. Nebenher arbeitete er für die Allgemeine Häuserbau-Actiengesellschaft (AHAG). Die Tochter von AHAG-Direktor Leopold Nothmann heiratete er 1912. Bereits 1910 ließ er seine erste eigene Baufirma in Handelsregister eintragen.
Der Berliner Wohnungsbau hatte im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts einen ungeheuren Aufschwung genommen. In dieser Zeit stieg die Einwohnerzahl der Hauptstadt um 100 000 pro Jahr. Man dachte, es werde immer so weiter gehen. Prognosen sagten voraus, Berlin werde im Jahr 2010 stolze zehn Millionen Einwohner zählen. Doch 1912 stürzte der Wohnungsbau in eine schwere Krise. Die schlecht ausgestatteten und überbelegten Mietskasernen hatten insofern ausgedient, dass sich ihr Neubau nicht mehr rentierte.
So verlegte sich Sommerfeld erst einmal auf die Errichtung von Warenhäusern. Im Ersten Weltkrieg baute er weit gespannte Hallen für die Flugzeuge und Luftschiffe des kaiserlichen Heeres. Auch als Lagerhallen dienten die von Sommerfeld und seinen Ingenieuren entwickelten Holzkonstruktionen, die 52 Meter ohne Stützen überspannen konnten. Damit verdiente Sommerfeld ausgezeichnet. Er investierte den Gewinn in den Kauf von Sägewerken. Sein Konzern wuchs.
Um 1920 erwarb er die Mehrheit an mehreren Terraingesellschaften. Zuerst kaufte er Anteile der AHAG, später Bauland im Südwesten Berlins: am Botanischen Garten, am Mexikoplatz, an der Ausflugsgaststätte Onkel Toms Hütte und schließlich 100 Hektar in Kleinmachnow. An diesen Stellen legte er los, nachdem er sich nach dem Krieg zunächst mit dem Umbau von Kriegsschiffen für die Handelsflotte beschäftigt und Notwohnungen aus Holz gebaut hatte. Die Notwohnungen entstanden beispielsweise als Reparationsleistungen in Frankreich oder bei Thessaloniki für 10 000 griechische Flüchtlinge aus Kleinasien.
In Berlin-Zehlendorf betrieb Sommerfeld in Zusammenarbeit mit einer gewerkschaftlichen Wohnungsgenossenschaft den sozial engagierten Bau einer Großsiedlung für 20 000 Bewohner. Dabei kümmerte er sich auch um die Verkehrsanbindung, indem er der Bahn das Land für die Schienentrasse kostenlos überließ und den Rohbau der Strecke und des Bahnhofs Krumme Lanke auf eigene Rechnung fertigstellte. Das Projekt stieß auf erhebliche Gegenwehr bürgerlicher Kreise.
Sommerfeld gehörte zwar selbst nicht der SPD an, pflegte aber Umgang mit vielen sozialdemokratischen Politikern. Die Kontakte nutzte er auch für seine Vorhaben. Geschäftliche und private Verbindungen gab es auch zu namhaften Architekten der Moderne, den Bauhausdirektor Walter Gropius lud Sommerfeld zu sich nach Hause und zum Skiurlaub ein. Gropius entwarf das Anwesen Sommerfelds. Der Baukonzern war der wichtigste private Sponsor der Bauhausschule.
Um 1930 gab es im Südwesten Berlins den Dächerkrieg. Spitz- und Flachdächer wurden seinerzeit politischen Richtungen zugeordnet: spitz bedeutete demnach rechts, flach links. Sommerfeld ließ Häuser mit Flachdächern bauen. Doch er passte sich dem Geschmack notfalls an. So arbeitete er auch mit Architekten zusammen, die traditionellere Formen entwarfen. In Kleinmachnow etwa waren die Dächer wieder spitz. Sommerfeld kam es darauf an, industrielle Verfahren zu verwenden, um die Kosten zu senken.
Den Faschisten war der experimentierfreudige jüdische Bauunternehmer ein Ärgernis. Schon 1932 begannen Belästigungen und Bedrohungen. Im Januar 1933 drangen Nazis auf Sommerfelds Grundstück vor, rissen die dort gehisste schwarz-rot-goldene Flagge von der Fahnenstange und trampelten darauf herum. Am 31. März erfolgte ein bewaffneter Überfall. Schüsse fielen. Sommerfeld musste um sein Leben fürchten. Er flüchtete wenige Tage später mit einem Rucksack in die Schweiz. Die Nazis raubten seine Firmen und sonstige Besitztümer.
Zu den Stationen im Exil zählte Palästina. Schließlich produzierte Sommerfeld in England Rollbahnen aus Stahlblech für die Luftwaffe. Er war britischer Staatsbürger geworden und hatte den Namen Andrew Sommerfield angenommen. Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte er nach Deutschland zurück, bemühte sich um die Rückübertragung der Reste seiner Firmengruppe und um Entschädigungen für den Wertverlust seiner Aktien. Prozesse in diesen Angelegenheiten endeten mit Vergleichen. Sommerfeld betätigte sich wieder als Bauunternehmer – auch in Westberlin. Seinen Wohnsitz verlegte er allerdings um 1954 in die Schweiz, wo er zehn Jahre später starb. Eine so wichtige Rolle wie in der Weimarer Republik konnte er nicht wieder spielen.
Celina Kress, »Adolf Sommerfeld – Bauen für Berlin 1910 bis 1970«, Lukas Verlag, 286 Seiten (geb.), 39,80 Euro
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