Zittern in den Uni-Städten

Die Volkszählung könnte für manche Kommune drastische Einnahmeeinbußen nach sich ziehen

  • Marc Herwig, dpa
  • Lesedauer: 3 Min.
Statistiker vermuten, dass etwa Städte wie Heidelberg, Göttingen oder Münster viel weniger Einwohner haben als gedacht. Und wer weniger Einwohner hat, bekommt auch weniger Steuerzuweisungen. Die am 9. Mai gestartete Volkszählung wird darüber Klarheit schaffen.

Stuttgart. Plötzlich sind 40 000 Menschen weg. Quasi über Nacht, einfach so. Im Stuttgarter Rathaus stellt man sich schon jetzt darauf ein, dass die Stadt demnächst nur noch rund 566 000 Einwohner zählt – statt der bisher angenommenen 604 000. Ähnlich könnte es vielen anderen Kommunen ergehen, wenn jetzt die Bevölkerung beim Zensus 2011 neu gezählt wird.

Vor allem Universitätsstädte werden in der Einwohnerstatistik voraussichtlich stark schrumpfen und damit viel Geld verlieren. Denn für jeden Einwohner bekommen die Kommunen Steuerzuweisungen – je nach Bundesland teilweise mehr als 1000 Euro.

Seit dem 9. Mai sind in Deutschland die Volkszähler unterwegs. Der Zensus soll genaue Zahlen liefern, wie viele Menschen wo wohnen. Denn das Statistische Bundesamt geht davon aus, dass in Deutschland tatsächlich 1,3 Millionen Menschen weniger leben als bislang gedacht.

Unsichere Fortschreibung

Die offizielle Bevölkerungszahl für Deutschland, die Bundesländer und die einzelnen Kommunen wird über die sogenannte amtliche Bevölkerungsfortschreibung ermittelt. Ausgehend von der letzten Volkszählung im Jahr 1987 und in den neuen Bundesländern auf Basis von Zahlen aus dem Jahr 1990 versuchen die Statistiker, Geburten, Sterbefälle und Umzüge möglichst genau zu erfassen und in die Einwohnerzahlen einzuarbeiten. Aber dabei kommt es zwangsläufig zu Fehlern.

In Stuttgart verlässt sich die Stadtverwaltung deshalb schon längst nicht mehr auf die offizielle, vom Statistischen Landesamt ermittelte Zahl. »Bei uns wird bei allen Überlegungen die Einwohnerzahl aus dem Melderegister zugrunde gelegt«, sagt der Leiter des Statistischen Amts, Thomas Schwarz. Und diese Zahl ist um gut sechs Prozent niedriger als die offizielle Einwohnerzahl.

Bei der letzten Volkszählung 1987 kamen gerade die Studentenstädte nicht gut weg. Weil Studenten oft umziehen, ist die Fehlerquote in den Bevölkerungsstatistiken dort besonders hoch. Göttingen war damals um fast 20 000 Menschen auf 115 000 Einwohner geschrumpft, Heidelberg fehlten 8500 seiner 136 000 Einwohner, und in Tübingen sank die Einwohnerzahl um knapp sechs Prozent auf 71 700.

Konkrete Prognosen wagt im Moment noch niemand. »Jetzt müssen wir erstmal die Ergebnisse abwarten«, sagt ein Sprecherin der Stadt Heidelberg. In Göttingen heißt es: »Ein Rückgang der Einwohnerzahl ist nicht auszuschließen.« Trotzdem sieht man die Volkszählung gelassen – ebenso wie in Mainz oder Münster, Magdeburg oder Freiburg, Tübingen oder Greifswald.

Rufe nach Hilfe

Welche konkreten finanziellen Auswirkungen sinkende Bevölkerungszahlen für die Kommunen haben, das ist von Bundesland zu Bundesland verschieden. In einigen Ländern wie etwa Baden-Württemberg büßt eine Stadt mit jedem Einwohner tatsächlich bares Geld ein. »Wenn eine Stadt Einwohner verliert, verliert sie auch Schlüsselzuweisungen. Das trifft die Kommunen schon sehr hart«, sagt Kristina Fabijancic-Müller vom Gemeindetag Baden-Württemberg.

In einigen Rathäusern wird deshalb schon der Ruf nach finanziellen Hilfen vom Land laut. »Wenn es in der Vergangenheit Anpassungen gegeben hat, gab es immer Übergangsregelungen, so dass die Finanzgrundlage der Kommunen nicht sofort schwächer geworden ist. Das würden wir auch hier so erwarten«, sagt die Sprecherin der Stadt Heidelberg.

In anderen Ländern wie etwa Rheinland-Pfalz orientieren sich die Zuweisungen des Landes hingegen schon heute nicht an der amtlichen Bevölkerungsfortschreibung, sondern daran, wie viele Einwohner in den Melderegistern der Städte verzeichnet sind. Eine Korrektur der Einwohnerzahl hätte dort tatsächlich nur statistische Auswirkungen.

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