Ein Kampf zusätzlich zum Lebenskampf

Der Vater von Erika Müller aus Zeuthen half Zwangsarbeitern – Sie dankten mit Selbstgebasteltem

  • Andreas Heinz
  • Lesedauer: 3 Min.

Die gemeinsame Zeitzeugensuche des Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit in Berlin-Niederschöneweide und ND zum Thema Zwangsarbeiterlager in Berlin rief schon viele Reaktionen hervor. So trafen Briefe aus Berlin, Brandenburg und Sachsen ein, in denen sich die Schreiber an dieses vielfach verdrängte Kapitel während der Zeit des Hitlerfaschismus erinnern. So wie die 82-jährige Erika Müller aus Zeuthen vor den Toren Berlins.

Ganz besonders hält sie ein Nähkästchen und ein gemaltes Bild in Ehren. »Diese Stücke stellten Zwangsarbeiter her und schenkten sie zum Dank meinem Vater«, erzählt Erika Müller. »Das Ölbild zeigt eine Landschaft mit Wasser und einem Birkenwald, keine Menschen und keine Häuser«, beschreibt sie das kleine Kunstwerk. »Keine hiesige Landschaft, sondern die Heimat der Zwangsarbeiter«, vermutet Erika Müller. Das Nähkästchen aus Holz zeigt ein Boot auf einem See und eine mit Stroh gedeckte Hütte. Dazu die Initialen H. K. Die Buchstaben stehen für Hertha Kutzsch, Mutter von Erika Müller. Mit diesen selbst gefertigten Stücken bedankten sich die Zwangsarbeiter für die Hilfe der Familie Kutzsch.

Franz Kutzsch, geboren 1903 in Berlin-Spandau, war seit 1926 Mitglied der USPD, 1931 trat er der KPD bei. »1932 war mein Vater maßgeblich an dem BVG-Streik beteiligt und wurde entlassen«, erzählt Erika Müller. Ein Jahr später wurde er in »Schutzhaft« genommen. »Veranlasst hatte das der damalige Amtsvorsteher in Zeuthen«, berichtet seine Tochter. Franz Kutzsch wurde als »wehrunwürdig« eingestuft und deshalb 1940 in die Heeresmunitionsanstalt Krugau bei Lübben dienstverpflichtet. Dort war er Fahrer eines Offiziers und wohnte in einem nahegelegenen Dorf bei einem Bauern.

»Die SS bewachte polnische Zivilarbeiter, die in der Munitionsanstalt zur Arbeit gezwungen wurden«, weiß Erika Müller aus Erzählungen ihres Vaters. Der half den Zwangsarbeitern. »Mit der Ausrede, Brot und Essensreste für die Tiere des Bauern zu sammeln, gelang es ihm, viele Monate lang die Zwangsarbeiter zu unterstützen. Sie bedankten sich mit dem anrührenden Bild von ihrer Heimatlandschaft und dem Nähkasten mit einem kleinen Bild, das ebenfalls von dem Heimweh des Malers und seiner Leidensgefährten zeugte«, so Erika Müller gegenüber ND. Ein hölzernes bewegliches Spielzeughühnchen, das auf ein Brett pickte, existiert leider nicht mehr. »Aber Bild und Kästchen habe ich heute noch und achte beides sehr. Auch meine Kinder und Enkel kennen ihre Bedeutung«, sagt sie gerührt und hält ein Album mit Fotos ihres Vaters daneben.

Vater Kutzsch musste seine Hilfe aus Überzeugung teuer bezahlen. »Sein Handeln wurde durch Verrat bekannt und er durch Misshandlungen zu einer Loyalitätserklärung gezwungen«, so Erika Müller. Franz Kutzsch wurde an die Ostfront geschickt.

Auf das Verhältnis der deutschen Bevölkerung zu den Zwangsarbeitern angesprochen meint Erika Müller: »Natürlich gab es auch Unrechtsbewusstsein, aber nur bei wenigen deutschen Menschen um die Zeit von 1939, als die nationalsozialistischen Machthaber ganz offen die Masken fallen ließen und begannen, ihre unmenschlichen Pläne in die Tat umzusetzen«, schreibt die Zeitzeugin in einem Brief. »Und dann hat Wissen, Bewusstsein auch mit sehr viel Unbequemlichkeit und Unruhe zu tun«, stellt sie weiter fest.

»Das mögen wir Deutschen schon gar nicht«, schlussfolgert die frühere Lehrerin. »Das ist Kampf zusätzlich zum Lebenskampf überhaupt, und es gehört so viel Mut dazu, ein Kämpfer zu sein, wenn man weiß, dass kaum Sieg in Aussicht sein wird, dagegen eher sichere Niederlage.«

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