Das Trauma des Henkers
Das Jüdische Filmfestival Berlin und Potsdam 2011 zeigt Klassisches und Inkorrektes
Das »Jewish Film Festival« hat sich angepasst – allerdings nur an die Landessprache und heißt von nun an »Jüdisches Filmfestival Berlin & Potsdam« (JFFB). Ansonsten ist das einzige Filmfestival in Deutschland, das ausschließlich jüdische Themen zum Gegenstand hat, alles andere als konform. Auch in seiner 17. Ausgabe orientiert es sich an keiner offiziellen ideologischen Richtlinie und wartet in Dokus und Spielfilmen mit Klassischem, Überraschendem und zuweilen auch politisch Inkorrektem auf.
Darf man als Jude Wagner mögen? Mit dieser Frage beschäftigt sich der britische Schauspieler, Regisseur und Autor Stephen Fry in seinem unterhaltsamen und doch nachdenklichen Dokfilm »Wagner and Me«. Der bekennende Wagnerianer Fry hat selbst Familienmitglieder im Holocaust verloren und macht es sich mit seiner Suche nach einer Antwort nicht leicht. Bis nach Bayreuth führt Fry sein Weg, wo er Opern-Proben beiwohnt und sich vorkommt »wie ein Kind in einem Bonbonladen«. Gleichzeitig arbeitet er die Widersprüchlichkeit Wagners heraus: den begnadeten Künstler ebenso wie den Antisemiten, sowie dessen Instrumentalisierung durch die Nazis.
Shlomi Eldars Dokumentation »Precious Life« erzählt dagegen von einem schwer kranken palästinensischen Kleinkind, dessen Behandlung in Israel durch die Spende eines Israelis möglich wurde. Anhand dieses Einzelschicksals werden die immensen Schwierigkeiten der israelisch-palästinensischen Beziehungen aufgezeigt: Aus dem zeitweise gesperrten Westjordanland können die verwandten Knochenmarkspender für den kleinen Jungen nur mit Tricks einreisen. Militärische Einschränkungen der israelischen Behörden stehen in deutlichem Kontrast zum Engagement des Arztes und der Spendenbereitschaft der israelischen Zivilbevölkerung. Mittendrin dokumentiert der israelische Regisseur, der Initiator der Behandlung ist, immer wieder das Leid der Eltern. Leider unterlegt er das Offensichtliche mit aufdringlicher Trauermusik und filmt penetrant jede Regung auf dem Gesicht der verzweifelten Mutter. Dennoch ist sein Werk ein Beleg dafür, dass auch ein fehlerhafter Dokfilm sehr viele Wahrheiten zu Tage fördern kann.
Viele der 24 Filme aus sieben Ländern beschäftigen sich mit (jüdischer) Identität – woher kommt man, wo gehört man hin? So beschreibt »The Human Ressources Manager« des israelischen Star-Regisseurs Eran Riklis die Odyssee eines Sargs – von der Wahlheimat Israel nach Rumänien und wieder zurück, da keiner recht weiß, wo die letzte Ruhestätte der verstorbenen Auswanderin sein soll.
Doch wie fühlt sich erst ein guter englischer Moslem namens Mahmud Nasir, wenn er eines Tages herausfindet, dass er adoptiert wurde und in Wirklichkeit Solly Shimshillewitz heißt? Josh Appignanesis sehr vergnügliche Komödie »The Infidel« (»Alles koscher!«, regulärer Kinostart: 30.6.) handelt von Religion, Tradition, einer Heirat sowie den Unterschieden und vor allem auch Gemeinsamkeiten zwischen Muslimen und Juden.
Ebenso bissig und komisch geht es auch in den Episoden der TV-Erfolgsserie »Arab Labour« zu, geschrieben vom arabischen Israeli Sayed Kashua, deren erste Staffel bereits vor drei Jahren auf dem JFFB gezeigt wurde. Der Held Amjad, ein arabisch-israelischer Journalist, laviert ständig zwischen seiner arabischen Familie, den Kollegen und seinen jüdischen Nachbarn und bekommt es hier unter anderem mit einem rassistischen Hund (!) zu tun.
Netalie Brauns eindringliche Doku »The Hangman« wiederum zeigt auf, wie die Hinrichtung des Nazi-Schergen Adolf Eichmann bei seinem Henker ein lebenslanges Trauma hinterlassen hat. Eine Hommage an den israelischen Schriftsteller und Friedensaktivisten Amos Oz ist schließlich Masha und Yonathan Zurs Doku »Die Natur der Träume«. Anhand von biografischen Stationen, Lesetouren und Diskussionen kristallisiert sich das Porträt eines sensiblen Künstlers und engagierten Zeitgenossen heraus.
Vom 23-31.Mai im Kino Arsenal am Potsdamer Platz, www.jffb.de; Tel.: 030-26 95 51 00
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