Die politische Tänzerin
Ein Band ehrt Hanna Bergers Wirken zwischen Berlin und Wien
Sie gehört zu jenen, deren einzige Heimat der Tanz war und die ihr politisches Engagement missliebig gemacht hat. Es wundert daher wenig, dass Hanna Berger heute eher zu den Vergessenen zählt. Umso mehr Anerkennung verdient Andrea Amorts Bemühen, Leben und Werk der einst populären Ausdruckstänzerin ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken.
Nicht einfach gestaltete sich die Materialsuche; dennoch ist der vom Deutschen Tanzarchiv Köln herausgegebene, bei Brandstätter erschienene 180-Seiten-Band eine Fundgrube auch über den Tanz jenseits der Berühmten jener Zeit, doch in steter Parallele zu ihnen. Als ungewöhnlich schön und ausdrucksstark zeigen Fotos diese Hanna Berger, so in Enkelmanns Studioaufnahmen zu ihrer erfolgreichen Choreografie »Die Unbekannte aus der Seine« und mit einem Gesicht voller Spannung zwischen Leben und Tod, wie die Tänzerin sie am eigenen Leib erfahren haben mag.
Als uneheliches Kind wird sie 1910 in Wien geboren, wächst in bedrängten Verhältnissen auf, erkrankt an einem tuberkulösen Augenleiden, nimmt Klavierunterricht, heiratet als Fluchtreaktion mit 16, tritt um 1927 der Kommunistischen Partei bei, belegt in Berlin Kurse in Tanz und Gymnastik, mit Geld, das sie sich als Nacktmodell, Kursleiterin, Korrepetitorin, Masseuse verdient. Ab 1930 ist sie auf gut zwei Jahrzehnte mit dem Bildhauer Fritz Cremer liiert, gibt 1937 in Berlin ihren ersten Soloabend.
Die Studie »Krieger« über das Grauen des Krieges trägt ihr im Nazideutschland ein Berlin-Verbot ein, dem sie sich durch Flucht nach Wien entzieht. Sie unterrichtet an der Akademie für dramatische Kunst in Rom, schafft dort 1940 den Zyklus »Italienische Reise«, tritt im Jahr darauf gemeinsam mit Marianne Vogelsang im Berliner Theater am Kurfürstendamm auf, später auch im Schillertheater bei Lesungen von Will Quadflieg und Ernst Legal. Im Oktober 1942 wird sie in Posen, wo sie am Reichsgautheater tanzt und lehrt, verhaftet und neun Monate festgehalten, auch im Gefängnis nahe des Alexanderplatzes. Flugblätter hatte sie in Hausfluren verteilt, an Plakatsäulen angebracht. Der Volksgerichtshof muss sie, nach glänzender Selbstverteidigung, aus Mangel an Beweisen freisprechen. Der Zwangsarbeit entkommt sie durch Flucht.
Viele andere Mitglieder jener Widerstandsgruppe »Rote Kapelle«, so Oda Schottmüller, werden hingerichtet. Wieder lebt Berger in Wien, tanzt, gründet auf Basis der Lehren Stanislawskis das heute legendäre Kindertheater, vornehmlich für Arbeiterkinder. 600 Anmeldungen hat sie binnen kurzem, auch Klaus Löwitsch startet dort seine Laufbahn. Der Gauamtsleiter schließt, ein Neuversuch nach dem Krieg unter einer linken Stadtleitung scheitert mit der Stadtleitung selbst und macht Berger auch im neuen Österreich suspekt, obgleich sie einigen wegen ihrer Technik und der Ausstrahlung als wichtigste Tänzerin des Landes gilt.
Für einen Tanz als politischer Wille streitet sie, einen Tanz, der den dramatischen Ausdruck des Menschen zeigt, Inhalte aus dem realen Leben gestaltet, »Ausdruck seiner Zeit« ist. Grete Wiesenthal, auch sie Nazigegnerin, holt Berger als Lehrkraft an die Wiener Staatsakademie für Musik und darstellende Kunst. Nachfolgerin Rosalia Chladek verdrängt die Konkurrentin, die im sowjetischen Sektor auftritt, während Chladek bei den Amerikanern tanzt. Berger arbeitet meist im linken Umfeld, gastiert europaweit, schreibt Texte und Kritiken, hält sich so über Wasser. 1951 entwirft sie Lehrpläne für die spätere Staatliche Ballettschule Berlin, tanzt in Berlin einer Kommission vor, wird negativ beurteilt: Dem aufkommenden sozialistischen Realismus ist sie zu individualistisch. An der Wiener Akademie verliert sie ihre Stelle, in Berlin verweigert man ihr die erhoffte Anstellung im Tanzreferat. Berger bleibt überzeugte Kommunistin, schreibt für die Zeitschrift »Theater der Zeit«.
Endlich, 1956, als Lichtblick die Zusammenarbeit mit Walter Felsenstein an dessen »Schlauem Füchslein«, das seinen Erfolg auch aus Bergers Choreografie speist. In die DDR übersiedelt Berger jedoch nicht, pendelt zwischen Wien und Berlin. Dort stirbt sie 1962 an Gehirntumor. Ihr Mut und ihr Künstlertum bleiben beispielhaft.
Andrea Amort: »Hanna Berger. Spuren einer Tänzerin im Widerstand«, Brandstätter, 183 Seiten (geb.), 29,90 Euro
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