Zwischen Justizschelte und Umdenken

Die Franzosen glauben an ein Falle für Strauss-Kahn. Doch der Wind scheint sich zu drehen

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.
Noch glaubt eine Mehrheit der Franzosen an eine geschickte Falle für den Ex-IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn. Doch inzwischen machen Frauenrechtlerinnen darauf aufmerksam, dass Frankreichs Gesellschaft ein Problem mit sexueller Gewalt hat.

Eine Woche nach seiner Verhaftung in New York beherrscht Dominique Strauss-Kahn nach wie vor die vorderen Seiten der französischen Zeitungen und die Nachrichtensendungen. Ausführlich wird über die Fakten berichtet, die die Anklage wegen versuchter Vergewaltigung eines Zimmermädchens im New Yorker Sofitel-Hotel untermauern, über die Persönlichkeit und Vorgeschichte des Opfers, über die Anwälte beider Seiten und ihre möglichen Strategien sowie über die Mechanismen der US-Justiz. Dabei sind sich alle Experten einig, dass ein Angeklagter in den USA erheblich bessere Aussichten hat, mit einem blauen Auge davonzukommen, wenn er über reichlich finanzielle Mittel verfügt. Dann kann er sich die besten Anwälte leisten und sich eventuell außergerichtlich mit dem Opfer einigen.

Zumindest in dieser Hinsicht stehen die Aussichten gar nicht so schlecht für »DSK«. Das Vermögen seiner Frau Anne Sinclair, Enkelin des Kunsthändlers Paul Rosenberg und ehemalige Fernsehmoderatorin, wird auf 30 bis 50 Millionen Euro geschätzt. Sie bezahlt die beiden Staranwälte, sie hat die Kaution von einer Million Dollar hinterlegt und die Sicherheitsgarantie über weitere fünf Millionen Dollar geleistet, damit ihr Mann aus dem Gefängnis frei kam. Sie zahlt auch die eilig angemietete Wohnung sowie die vom Gericht vorgeschriebenen Wachleute, was sich pro Monat auf rund 200 000 Dollar summiert. Sie glaube »keine Sekunde« an die Schuld ihres Mannes, trotz erdrückender Indizien. Wie sie wollen die meisten Franzosen nicht wahrhaben, dass Dominique Strauss-Kahn offenbar schlichtweg über seine Überzeugung gestolpert ist, dass ihm keine Frau widerstehen kann – und darf. Umfragen zufolge glauben immer noch 57 Prozent der Franzosen, dass er in eine geschickt gestellte Falle getappt ist.

Dabei war unter seinen Politikerkollegen und unter Journalisten seit langem bekannt, dass DSK ein charmanter, hartnäckiger und gelegentlich gewaltbreiter Don Juan war. So haben Journalistinnen vermieden, sich bei einem Interview mit ihm allein in einem Raum aufzuhalten. Daher ist es makaber, wie vom ersten Tag an die befragten französischen Politiker, vor allem die der Sozialistischen Partei, erklärten, dass sie Strauss-Kahn seit vielen Jahren »ganz anders kennen« würden und die Vorwürfe »nicht zu ihm passen«. Gleichzeitig wurde von ihnen wortreich kritisiert, wie menschenverachtend die New Yorker Polizei mit dem IWF-Chef umging, wie er zur bewussten Erniedrigung in Handschellen vorgeführt wurde und unter welch unwürdigen Bedingungen DSK auf der Gefängnisinsel Rikers Island inhaftiert war. Dabei wird geflissentlich übergangen, dass Frankreich wegen der Zustände in seinen Gefängnissen nicht nur von in- und ausländischen Organisationen, sondern wiederholt auch vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gerügt worden ist. Statt dessen wurde unter Hinweis auf entsprechende Gesetze betont, dass in Frankreich jedermann auch und gerade in den Medien solange als unschuldig zu gelten hat, bis seine eventuelle Schuld durch ein Gericht festgestellt ist. Und in Handschellen darf schon seit Jahren kein Untersuchungshäftling mehr fotografiert werden.

Zweifelhaft ist sogar, ob es überhaupt zu einer Verhaftung und Anklage gekommen wäre, hätten sich die Übergriffe von DSK in Frankreich abgespielt. Hier werden die Opfer nur zu oft durch die Polizei so schlecht behandelt und ihre Worte in Zweifel gezogen, dass sie auf eine Klage verzichten. Diesem Machismus entsprechen auch die Beschwichtigungsversuche mancher Politikerfreunde Strauss-Kahns, die seine Tat als »Unbedachtheit« oder »Dienstboten-Flirt« herunterzuspielen versuchten. Der Gipfel war wohl die Äußerung des ehemaligen sozialistischen Kulturministers Jack Lang, er verstehe die ganze Aufregung nicht. Schließlich habe es »keine Toten gegeben«.

Für das eigentliche Opfer, die Hotelangestellte in New York, hatte in den Medien tagelang niemand ein Wort des Mitgefühls übrig. Bis die bekannte Anwältin und Frauenrechtsaktivistin Gisèle Halimi in einem offenen Brief in der Zeitung »Le Monde« erklärte, dass sie sich ihrer Freunde in der Führung der Sozialistischen Partei und deren Äußerungen zu Strauss-Kahn schäme. Diese Worte haben ein breites Echo gefunden. Am vergangenen Sonntag hat in Paris eine Kundgebung verschiedener Frauenrechtsorganisationen stattgefunden, die den Fall zum Anlass nahmen, um gegen das »sexuelle Kesseltreiben« zu protestieren, dem viele Frauen in der Berufswelt ausgesetzt sind. Sie forderten ein Ende jeglicher Gewalt gegen Frauen. Umfragen besagen, dass 16 Prozent der französischen Frauen schon einmal vergewaltigt wurden oder einen Versuch nur knapp abwehren konnten. Doch nur 4 Prozent haben es gewagt, Anzeige zu erstatten.

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