Der heimliche Aufmarsch
Senat rudert zurück: Neonazi-Demonstrationen müssen auch künftig nicht angekündigt werden
Die Debatte um die außer Kontrolle geratene Neonazi-Demonstration am 14. Mai geht in eine nächste Runde. Gestern beschäftigte sich der Innenausschuss des Abgeordnetenhauses mit der Rolle der Polizei, die den Aufmarsch nicht öffentlich gemacht hatte. Der scheidende Polizeipräsident Dieter Glietsch war ins Abgeordnetenhaus geladen worden, um gegenüber den Parlamentariern Stellung zu beziehen.
Der Standpunkt des Polizeipräsidenten war klar: Die Polizei darf Demonstrationen von Neonazis geheim halten, um Auseinandersetzungen mit Gegendemonstranten zu verhindern. »Es gibt keine generelle Verpflichtung der Polizei, Ort und Zeit rechtsextremer Versammlungen bekannt zu geben«, stellte der Polizeipräsident klar. Eine Abwägung, ob Route oder Treffpunkte öffentlich gemacht würden, erfolge im Einzelfall. Innenstaatssekretär Ulrich Freise (SPD) sprach von einem »Zielkonflikt«. Vor einigen Tagen hatte er noch eine Revision der Informationspolitik gefordert. In der gestrigen Sitzung ruderte er zurück. »Bürgerschaftliches Engagement gegen rechtsextreme Umtriebe ist geboten und gewünscht«, so Freise. Aber auch die Unversehrtheit von Demonstrationsteilnehmern und der Polizei müsse gewährleistet bleiben. »Wenn beide Klientel aufeinandertreffen, kommt es mit Gewissheit zu gewalttätigen Übergriffen.«
Zwar beurteilte auch Polizeipräsident Glietsch den Verlauf des Einsatzes als »im Ergebnis nicht gelungen«. Nicht zu beanstanden sei jedoch die Entscheidung, die Neonazis durch den U-Bahntunnel des Mehringdamms zu leiten, um eine Blockade durch Gegendemonstranten zu umgehen – dabei hatte der Nazitrupp am anderen Ende des Bahnhofes eine Polizeikette überrannt und auf Passanten und Gegendemonstranten eingeschlagen. Augenzeugen hatten von einer gezielten Jagd auf Migranten gesprochen. »Ein vergleichbares Verhalten war bei Rechtsextremen in der Vergangenheit nicht festzustellen«, verteidigte Glietsch die folgenschwere Polizei-Entscheidung.
Durch die Geheimhaltung habe man sich versprochen, Auseinandersetzungen zwischen Rechtsextremen und Linken zu verhindern, sagte der FDP-Abgeordnete Björn Jotzo. »Genau das hat aber nicht funktioniert.« Nach Einschätzung von Benedikt Lux (Grüne) kam es gerade deshalb zu Ausschreitungen, weil die Route nicht bekannt war. »Die Hase und Igel-Situation hat für Angst gesorgt«, sagte Lux. Er forderte deshalb, Versammlungen grundsätzlich anzukündigen. Der Abgeordnete kritisierte auch den Innenstaatssekretär: Freise suggeriere, dass Gewalt nur von den linken Gegendemonstranten zu erwarten gewesen wäre, von den Rechtsextremen hingegen nicht. »Ich habe es in Berlin noch nicht erlebt, dass von der Polizei beobachtet Rechte zutreten können«, sagte Lux. Hier werde mit zweierlei Maß gemessen.
Tatsächlich sind von 49 Strafanzeigen 38 Gegendemonstranten betroffen. Vor dem Hintergrund prügelnder Rechtsradikaler sicher ein verstörendes Ergebnis. Dieses Ungleichgewicht kritisierte auch die Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes / Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA). In einer Pressemitteilung sprach sie von einer »Vorabkriminalisierung zivilgesellschaftlichen Engagements gegen Neonazi-Aufmärsche«. Der Senat verdrehe, von wem die eigentliche Gefahr ausgehe, erklärte die VVN-BdA.
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