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Das Vorreiter-Problem

Ostritz in Sachsen will Öko-Modellstadt sein. Doch manches vor Ort ist von der Zeit überholt

  • Anett Böger, dpa
  • Lesedauer: 4 Min.
Verzicht auf Kohle, Erdöl und Erdgas – eine kleine Stadt in Sachsen will zeigen, wie es sich mit umweltfreundlichen Alternativen leben lässt. Die Idee blieb nicht nur Modell, aber auch nicht ohne Schwierigkeiten.

Ostritz. »Energieautark zu sein – das wäre ein ehrgeiziges Ziel«, räumt Marion Prange ein. Die parteilose Bürgermeisterin von Ostritz ist überzeugt, dass ihr Heimatort dafür keine schlechte Ausgangsposition hätte. Die sächsische Kleinstadt an der deutsch-polnischen Grenze setzt auf Wasser, Wind, Sonne und nachwachsende Rohstoffe, um daraus Strom und Wärme zu gewinnen. Für die Weltausstellung Expo 2000 in Hannover entwickelte sie sogar das Konzept einer energie-ökologischen Modellstadt. Doch einer wirklichen Selbstversorgung steht bislang einiges im Wege – Hürden, auf die eine einzelne Kommune schlichtweg keinen Einfluss hat.

Das Ostritzer Modell soll die Möglichkeiten für einen Mix aus regenerativen Energien zeigen. Dazu entstanden mehrere Demonstrationsanlagen. 1998 ging ein Biomasseheizkraftwerk in Betrieb, das heute allerdings teilweise nicht mehr rentabel arbeitet. Neben Holz sollte darin ursprünglich auch Rapsöl verheizt werden. Mit Kosten von knapp 36 Cent pro Liter war seinerzeit kalkuliert worden. Doch der Preis für Pflanzenöl ist – gekoppelt an den Mineralölpreis – inzwischen in unerschwingliche Höhen geklettert. »Dort hat uns die Zeit überholt«, gesteht Prange.

Die Folgen der Neißeflut

Längst ist der Ölkessel abgeschaltet, mit dem über einen Generator nicht nur Strom erzeugt werden könnte, sondern sogar Fernwärme über das Kühlwassersystem. Die beiden Kessel, die mit Holzhackschnitzeln gefüttert werden, haben sich dagegen im Heizkraftwerk tadellos bewährt. Über ein mehr als 15 Kilometer langes Leitungsnetz wird an fast 290 Haushalte Fernwärme geliefert.

Angeschlossen sind mittlerweile etwa 70 Prozent der Privathäuser, Firmen und Einrichtungen in Ostritz. Das lohne sich durchaus: Die Bürgermeisterin verweist auf eine Studie von 2009, in der Fernwärme als die kostengünstigste Heizungsart ausgewiesen worden sei.

Wer in eine neue Heizung investieren muss, überlegt daher wohl zu Recht, ob er die ökologisch erzeugte Wärme aus dem öffentlichen Netz bezieht. So geschehen nach der verheerenden Neißeflut im August 2010, als viele Sanierungen anstanden. »Durch das Hochwasser haben wir Kunden gewonnen«, sagt die Bürgermeisterin. Noch habe das örtliche Heizwerk zu etwa 25 Prozent freie Kapazität.

Im Ostritzer Ortsteil Leuba drehen sich neun Windräder, die Strom für immerhin 8800 Haushalte liefern – weitaus mehr, als die rund 2500 Ostritzer selbst benötigen. Noch wird die alternative Energie nicht da verbraucht, wo sie erzeugt wird. Vor Ort fehlen dafür Speichersysteme. »Wir hängen am Netz«, macht Steffen Blaschke deutlich. Er ist Projektleiter im Internationalen Begegnungszentrum St. Marienthal in Ostritz, das grünen Strom über die Leitungen großer Energieversorger bezieht.

Im Zisterzienserinnenkloster St. Marienthal selbst kann aus Wasserkraft Energie gewonnen werden: für ein historisches Schausägewerk und eine Turbine zur Stromerzeugung. Beide Maschinen an der Neiße stehen derzeit jedoch still – zwangsläufig. »Das Hochwasser hat heftigen Schaden angerichtet«, bedauert Blaschke.

Oberhalb des Klosters arbeitet seit 1997 eine Pflanzenkläranlage. Sie reinigt das Abwasser aus etwa zehn Haushalten, die etwas abseits der Stadt liegen. Für die Siedlung hätte ansonsten extra eine 800 Meter lange Kanalleitung zum Anschluss an den Ostritzer Klärbetrieb gebaut werden müssen.

Ohne die Hilfe der Deutschen Bundesstiftung Umwelt wäre das gesamte Modellstadtprojekt kaum möglich gewesen. Seit 1991 hat sie mehr als 20 Einzelvorhaben in Ostritz mit insgesamt rund 7,5 Millionen Euro gefördert. »Wir haben viel Engagement und Geld investiert, um aus dem ehemals schwarzen Dreieck ein Kleeblatt der ökologischen Hoffnung zu machen«, sagt Fritz Brickwedde, der Generalsekretär der in Osnabrück ansässigen Stiftung.

Hoffen auf Privatleute

In der Zukunft will die Kleinstadt Ostritz noch stärker auf Sonnenenergie setzen. Bereits existierende Solaranlagen auf dem Feuerwehrhaus oder der seit dem Jahr 2007 geschlossenen Mittelschule hatten vor allem Modellcharakter. Nun wird weiter in Photovoltaik investiert, etwa auf dem Heizwerk, der Turnhalle oder dem Polizeiposten. »Wir wollen ein Zeichen setzen«, sagt Bürgermeisterin Prange. Sie hofft, dass auch Privatleute dem guten Beispiel der Verwaltung folgen und damit letztlich die Entwicklung der Modellstadt vorantreiben helfen. »Es gibt viele Ideen für die Zukunft.«

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