»Für uns wäre dieses Haus ideal«
Am Montag wurde in Berlin ein leer stehendes Haus besetzt. Florian Schultz sagt, warum.
ND: Warum haben Sie gerade dieses Haus in Kreuzberg besetzt?
Schultz: Wir haben im ganzen Kiez das Problem, dass die Mieten steigen und dass es keine freien Wohnungen mehr gibt. Wir haben uns dieses Haus vorgenommen, weil hier 33 Wohnungen komplett leerstehen, die eigentlich der Allgemeinheit zugutekommen müssten.
Wem gehört denn das Haus?
Das gehörte jahrelang der GSW, der Gesellschaft für Soziales Wohnen, eine ehemals gemeinnützige Einrichtung. Die haben das Haus in den 1990ern vom Land Berlin geschenkt bekommen. Durch die Privatisierung der GSW ist das Haus jetzt auf dem freien Markt gehandelt und, wie wir heute erfahren haben, verkauft worden.
Die Schenkung war doch eigentlich mit sozialen Auflagen verbunden.
Ja, im ursprünglichen Schenkungsvertrag standen mehrere Mieterschutzklauseln drin, etwa dass bei einem Verkauf der Wohnungen keine Eigenbedarfskündigungen erfolgen dürfen. Außerdem wurde vereinbart, dass das Haus instand gesetzt werden soll, und zwar innerhalb von zehn Jahren.
Jetzt sind 16 Jahre ins Land gegangen, und hier ist überhaupt nichts passiert. Man kann fast sagen, es ist komplett zu Schrott gewohnt worden, und die GSW hat sich einen feuchten Kehricht drum geschert. Auch vom Senat hat sich nie jemand darum gekümmert oder mal nachgesehen. Die GSW ist schlicht und einfach vertragsbrüchig geworden.
Das heißt, die GSW hat aus dem Geschenk des Senats ein profitables Geschäft gemacht?
Genau, anstatt das Haus denen zukommen zu lassen, die es wirklich brauchen, haben sie jetzt eine tolle Rendite erwirtschaftet.
Was ist aus den alten Mietern geworden?
Die meisten sind schon raus, weil die GSW teure Modernisierungen angekündigt hatte. Zwei Mieter harren im Moment noch aus, deswegen gab es hier noch keine Arbeiten. Aber sobald die hier rausgeekelt worden sind und das Haus komplett entmietet ist, erwarten wir Luxussanierungen und danach freien Verkauf.
Eine Hausbesetzung ist heutzutage doch eher eine symbolische Handlung, oder?
Nicht unbedingt. Wir wollen natürlich mit der Aktion auch die Öffentlichkeit informieren, aber für mich ist das Haus auch ganz praktisch von Bedeutung. Ich wohne hier im Kiez, ich bin gerade am Sonntag Vater geworden, und wir brauchen eine größere Wohnung. Für uns wäre dieses Haus ideal. Im Normalfall würden wir hier einziehen. Und das geht eben nicht, weil es jetzt zugunsten hoher Profitraten verscherbelt wird und für Leute wie meine Familie nicht zur Verfügung steht.
Der Kreuzberger Wrangel-Kiez ist schwer im Kommen, es haben sich etliche Cafés und Geschäfte angesiedelt, und es wimmelt von Touristen. Hat das nicht auch positive Aspekte?
Es gibt zwar Anwohner, die das nicht so toll finden, aber ich persönlich habe mit der Atmosphäre im Kiez kein Problem. Das Problem liegt eher in den Aufwertungsprozessen: Die Leute, die in den Großkonzernen auf der anderen Seite der Spree arbeiten, bei Mediaspree oder demnächst auch Daimler Benz, die ziehen hierher und bringen das nötige Geld mit, um sich teure Wohnungen leisten zu können.
Woran merkt man das konkret?
Daran, dass zum Beispiel bei mir um die Ecke jetzt eine Luxuskarosse parkt, die sich ein normaler Mensch in hundert Jahren nicht leisten könnte.
Sind bereits Nachbarn weggezogen?
Ja, es haben viele türkische Familien bei mir im Haus gewohnt, die sind jetzt fast vollständig raus, weil die sich das Wohnen hier in der Nähe nicht mehr leisten können.
Die Linkspartei macht das Thema bezahlbares Wohnen im Wahlkampf stark. Welche Erwartungen haben Sie an diese Partei?
Nach zwei Legislaturperioden »Rot-Rot«? Gar keine.
Fragen: Frank Brendle
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.