Der Ort im Grünen braucht mehr Ruhe

Stadt Hohen Neuendorf wünscht sich Ausbau der A 10, damit sie endlich Lärmschutzwände erhält

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.
Idylle im Briesetal: Doch der Verkehrslärm beeinträchtigt das Vergnügen. ND-
Idylle im Briesetal: Doch der Verkehrslärm beeinträchtigt das Vergnügen. ND-

Über Stege laufen Spaziergänger durch das sumpfige Gelände am Flüsschen Briese. Das Briesetal im Norden Berlins gehört zu den schönsten und beliebtesten Wandergegenden im Umland der Hauptstadt. Doch eins stört die Idylle: Der Verkehrslärm vom nahen Berliner Ring. Der Krach belästigt selbstverständlich auch die Anwohner in der Gemeinde Birkenwerder und in der Stadt Hohen Neuendorf.

Trotzdem plädiert Hohen Neuendorfs Bürgermeister Klaus-Dieter Hartung (LINKE) für den Ausbau der A 10. »Je schneller, desto besser«, betont der gelernte Ingenieur, der Straßenbau studierte. Denn erst durch die geplante Verbreiterung von vier auf sechs Spuren entstehe ein Anspruch auf Lärmschutz, auch wenn die Reduzierung des Krachs schon jetzt geboten wäre.

Wann der Ausbau beginnt, steht in den Sternen. Cornelia Mitschka vom Landesbetrieb Straßenwesen sieht sich außer Stande, auch nur annäherungsweise einen Termin zu nennen. Sie verweist auf das laufende Planfeststellungsverfahren. Sachgebietsleiterin Angelika Kern erläutert: Zehn Jahre würde der sechsspurige Ausbau zwischen den Dreiecken Havelland und Schwanebeck dauern. Die Kosten allein für die brandenburgischen Abschnitte – ein Teil des Rings verläuft über Berliner Gebiet – werden mit 250 Millionen Euro veranschlagt. Zwischen 3 und 9,50 Meter hohe Lärmschutzwände und -wälle sind vorgesehen. Täglich passieren heute rund 50 000 Fahrzeuge. Einer Prognose zufolge sollen es 2025 bei Birkenwerder werktags 75 000 sein.

Im Bauamt von Hohen Neuendorf, Oranienburger Straße 44, liegen Planunterlagen noch bis zum 15. Juni aus. Werkstags von 7.30 bis 12 Uhr und montags bis donnerstags auch ab 13 Uhr können sie dort eingesehen werden. Die Stadtverwaltung ermutigt die Bürger, Einwendungen zu machen. Zielrichtung müsse mehr aktiver Lärmschutz sein, erklärt Bürgermeister Hartung. Er möchte mehr als das gesetzlich vorgegebene Maß – er möchte das Beste, was für Geld zu haben sei. Ein Tunnel für die Autobahn wäre ihm sehr angenehm. Realistisch sei diese Hoffnung allerdings nicht, räumt er ein. Aber hohe Lärmschutzwände, das müsse unbedingt sein. Von Flüsterasphalt hält Hartung nicht viel. Der müsste aufwendig gepflegt werden. Wenn sich die Poren innerhalb einiger Jahre zusetzen, bringe dieser spezielle Fahrbahnbelag nichts mehr. Dann doch lieber höhere Lärmschutzwände, die dauerhaft helfen. Den Flüsterasphalt würde Hartung gern zusätzlich haben, aber nur so, als Dreingabe.

Unbedingt bleiben müsse die vor zwei Jahren erkämpfte nächtliche Geschwindigkeitsbegrenzung, verlangt der Bürgermeister. Autos müssen seitdem ab 22 Uhr auf Tempo 100 abbremsen, Lastwagen sogar auf Tempo 60. Das Problem sei allerdings, dass sich viele Kraftfahrer einfach nicht daran halten, bedauert Hartung. Darum sei dies allein keine Lösung.

In Birkenwerder und in den Hohen Neuendorfer Stadtteilen Bergfelde und Borgsdorf werden mehr als 5000 Anwohner vom Lärm durch die A 10 belästigt, überschlägt Hartung. Direkt betroffen ist die Stadtverwaltung, weil der Kommune Grundstücke nahe der Autobahn gehören. Doch nicht allein deswegen engagiert sich der Rathauschef. Er kümmert sich auch im Interesse der Bürger. Ein diesbezüglicher Auftrag der Stadtverordneten stärke ihm dabei den Rücken, sagt er.

Gemeinsam mit Birkenwerder, dem Mühlenbecker Land und anderen nahm sich Hohen Neuendorf einen Rechtsanwalt. Es ist geplant, einen eigenen Lärmgutachter anzuheuern.

Das Argument, die ausgebaute A 10 sei doch von Vorteil beim Werben um Investoren, lässt Hartung nicht gelten. Schließlich sei die Autobahn schon vorhanden. Das genüge. Es gebe in Hohen Neuendorf zudem nur ein Gewerbegebiet, in dem sich kleine Unternehmen ansiedelten. Lediglich zwei Millionen Euro Gewerbesteuer pro Jahr nehme man ein. Das sei angesichts eines Etats von 40 Millionen Euro nicht so viel. Die Stadt lebe von der Lohnsteuer der Menschen, die sich in Hohen Neuendorf ein Häuschen kaufen oder bauen und zur Arbeit nach Berlin pendeln. Für diese Menschen sei man als Ort im Grünen attraktiv. Verkehrslärm schade da nur. 18 000 Einwohner zählte die Stadt 1999. Inzwischen sind es fast 25 000. Das jährliche Wachstum liegt jetzt noch bei ein bis zwei Prozent.

In Bergfelde bot bisher ein Waldgebiet wenigstens ein bisschen Schutz. Doch dort hinein solle in einer Größe von 24 Fußballfeldern eine Schneise geschlagen werden, erzählt Stadtsprecherin Ariane Fäscher. Der Platz sei für eine Tank- und Rastanlage vorgesehen. Doch damit nicht genug. Südwestlich am Stadtteil Stolpe vorbei führt die ebenfalls stark befahrene A 111, die von Norden nach Westberlin hineinstößt. Auch hier gebe es bislang fast keinen Lärmschutz. Außerdem kreuzen Schienen die Stadt in Nord-Süd- beziehungsweise in Ost-West-Richtung. Besonders die Verbindung nach Stralsund belastet die Anwohner, die im Garten ihr eigenes Wort nicht mehr verstehen, wenn ein Zug durchrauscht. Dazu kommt Fluglärm. Bisher schweben nur 20 Maschinen täglich in geringer Höhe über Hohen Neuendorf zu den Airports in Tegel und Schönefeld ein. Mit der Eröffnung des neuen Großflughafens in Schönefeld sollen es bis zu 400 werden. Die Summe des Lärms mache es besonders schlimm, sagt Stadtsprecherin Fäscher. Deshalb müsse unbedingt etwas getan werden.

Die Bürgerinitiative A 10-Nord hat angeregt, die Autobahn auf einer Länge von 3,3 Kilometern und sechs Meter hoch einzuhausen. Diese Ummantelung in Leichtbauweise könnte mit einer Solaranlage versehen werden. Die Errichtung würde 15 bis 25 Millionen Euro pro Kilometer kosten, heißt es. Das wäre deutlich günstiger als ein echter Tunnel. Zum Vergleich: Der 2,4 Kilometer lange Tiergartentunnel in Berlin habe 390 Millionen Euro gekostet. Der Landesbetrieb Straßenwesen hat die Bürgerinitiative jedoch vertröstet. Der Vorschlag werde im Rahmen des laufenden Planfeststellungsverfahrens geprüft. Man bitte darum, das Ergebnis abzuwarten.

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