Billige Jungarbeiter

Studie beleuchtet Verhältnisse in sächsischen Druckereien vom Kaiserreich bis in die NS-Zeit

  • Michael Eckardt
  • Lesedauer: 3 Min.

Noch bis 1903 war in sächsischen Druckereien Kinderarbeit nicht ungewöhnlich. Matthias Johns Publikation »Zeitungsdruckereien in Mittelsachsen und im Muldental« zeichnet regionale Wirtschafts-, Technik- und Sozialgeschichte in der Branche vom deutschen Kaiserreich bis in die Zeit der NS-Diktatur nach.

Oberflächlich betrachtet, stellt der vorliegende Band nichts Ungewöhnliches dar: Dem langjährigem Leiter des Dortmunder Instituts für Zeitungsforschung – Hans Bohrmann – wird zum 70. Geburtstag ein Buch gewidmet. Dieses jedoch stammt von einem Wissenschaftler der Leipziger Universität, der 1992 mitsamt seiner Forschungsgruppe abgewickelt wurde. Trotz der entzogenen universitären Verankerung hat Matthias John die anerkennenswerte Mühe einer Festgabe auf sich genommen.

Aufbauend auf der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Untersuchung »Sachinventar zum Druckerei-, Presse- und Zensurwesen im Schönburgischen Lande« zeichnet der Autor anhand von akribischen Recherchen Strukturen und Arbeitsbedingungen in den Zeitungsdruckereien Südwestsachsens nach. Wie wertvoll die Recherchen waren, macht der Umstand deutlich, dass die relevanten Bestände des Stadtarchives Grimma im Jahrtausendhochwasser 2002 verloren gingen, der Verfasser sie aber wenigstens für diese Forschungen rettete.

Krisensichere Keimzelle

John gelingt eine regionale Wirtschafts-, Technik- und Sozialgeschichte des Zeitungsdruckergewerbes vom deutschen Kaiserreich bis in die Zeit der NS-Diktatur. Die wirtschaftliche Keimzelle dieses Gewerbes war der krisensichere Druck der örtlichen Tageszeitungen, die in ihrer Doppelfunktion als Nachrichten- und Amtsblatt einen festen Inserenten- und Abnehmerkreis garantierten. Technikhistorisch interessant wird aus den Revisionsberichten zum Unfallversicherungsgesetz (1884) geschlussfolgert, dass etwa in Meerane bereits 1909 alle Druckereien ihre Dampfmaschinen durch Elektromotoren ersetzt hatten.

Den Schwerpunkt der Studie bilden sozialgeschichtliche Aspekte. John kann nachweisen, dass je mehr Beschäftigte eine Druckerei hatte, auch der Anteil der über 21-Jährigen in der Belegschaft stieg. Handelte es sich um kleinere Betriebe, stieg der Anteil der nicht 21-Jährigen. Ursache dafür waren Verträge, die nur die Löhne der ausgelernten Buchdruckergehilfen dem vom Vorstand des deutschen Buchdruckervereins anerkannten Tarif unterwarfen. Für alle anderen erfolgte eine Entlohnung »im Wege des freien Übereinkommens«, was sich oft nachteilig auswirkte.

Die Höhe des freitäglichen Wochenlohns hing zudem vom Standort der Druckerei ab. In Grimma war durch die Nähe zu Leipzig das Lohniveau höher, da in Leipzig viele Druckereien höhere Wochenlöhne zahlten. Noch bis 1903 war in den Druckereien Kinderarbeit, etwa als Austräger, nicht ungewöhnlich. Erst mit dem »Reichsgesetz betreffend die Kinderarbeit in gewerblichen Betrieben« wurde Arbeit von Kindern unter zwölf Jahren verboten.

Hierarchie der Bestrafung

In Sachen Arbeitszeit existierten neben der 48-Stunden-Woche schützende Regelungen, die zum Bespiel in Mittweida festschrieben, dass nach der Ausgabe von Sonn- oder Feiertagszeitungen der Betrieb bis 6 Uhr des nächsten Werktages ruhen musste. Hart wurde es bei Verstößen gegen die Reichsgewerbeordnung, die unter anderem die Höchstdauer der täglichen Arbeitszeit (10 Stunden) festlegte: Im dazugehörigen Verfahren gegen eine Lichtensteiner Druckerei wurden folgende Strafen verhängt: Druckereibesitzer, 10 Mark (M) Geldstrafe oder 2 Tage Gefängnis; Schriftleiter, 15 M. Geldstrafe oder 3 Tage Gefängnis; Faktor (Werkmeister), 40 M. Geldstrafe oder 8 Tage Gefängnis. Bemerkenswert ist sicher die Hierarchie der Bestrafung, die den Eigentümer der Druckerei schont, wo doch vielfach eine klare Befehlskette bestanden haben dürfte.

Abschlossen wird die Studie mit der 1942 erschienen Bilddokumentation der Grimmaer Buchdruckerei Bode, die in ihrer Vollständigkeit und Qualität einmalig sein dürfte.

Matthias John (2010): Zeitungsdruckereien in Mittelsachsen und im Muldental – Arbeiter, Arbeitsalltag und -bedingungen. Berlin: Trafo-Verlag, 224 S., broschiert, ISBN 978-3-89626-845-7.

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