Kind des Kalten Krieges

Vor 60 Jahren hob sich der Vorhang für die ersten Berliner Filmfestspiele

  • Rudolf Worschech, epd
  • Lesedauer: 4 Min.
Werbung für den Film »Endstation Mond« auf dem Kudamm, 1951
Werbung für den Film »Endstation Mond« auf dem Kudamm, 1951

Eigentlich war die Berlinale ein Sommerfestival. Der Vorhang für die ersten Berliner Filmfestspiele vor 60 Jahren hob sich am 6. Juni 1951. Das kann sich heute kaum jemand vorstellen, der im Februar bei Temperaturen unter null Grad und manchmal auch bei Schnee und Eis den Platz vor dem Berlinale-Palast überquert. Man kann aber die Atmosphäre jener Jahre erahnen, auf alten Fotos, die Stars wie Gary Cooper im offenen Wagen auf der Fahrt durch Berlin zeigen.

»Steglitz stand Kopf. Das heißt, eigentlich stand es Schlange. Es stand Mauer. Die Polizei riegelte ganze Straßenzüge ab«, berichtete der Berliner »Telegraf« über die erste Berlinale. Eröffnet wurde das Festival mit Alfred Hitchcocks Daphne-du-Maurier-Verfilmung »Rebecca«, und Hitchcocks Hauptdarstellerin Joan Fontaine war der Stargast des Festivals.

1978 verlegte der damalige Festivalleiter Wolf Donner die Berlinale vom schönen Juni in den nasskalten Februar. Zu dicht lag sie am wichtigsten Festival der Welt, den Internationalen Filmfestspielen von Cannes im Mai. Politisch wie wirtschaftlich – von der Verlegung profitierte vor allem der Filmmarkt – schien die Terminänderung sinnvoll, den sommerlich-entspannten Charakter hat sie seitdem nicht mehr. Und seit dem Umzug an den Potsdamer Platz mit seiner nüchternen Stahl-Glas-Atmosphäre im Jahr 2000 umweht das Festival auch nicht mehr der verblassende Charme der 50er Jahre wie in den Kinos rund um den Kudamm.

Die Berlinale war ein Kind des Kalten Krieges. Ins Leben gerufen durch die Initiative des US-amerikanischen Filmoffiziers Oscar Martay, sollte sie zwar der Völkerverständigung dienen, begriff sich aber gleichzeitig als »Schaufenster des Westens«.

Die Internationalen Filmfestspiele Berlin sollten der Welt zeigen, dass es mit Deutschland auch wieder kulturell aufwärtsging. Zumindest mit den Westsektoren Berlins und der Bundesrepublik, denn Filme aus den sozialistischen Ländern waren zu Beginn kategorisch von der Teilnahme ausgeschlossen. Die sozialistischen Staaten wiederum begegneten der »imperialistischen« Veranstaltung ebenfalls äußerst reserviert.

Erst 1974, nach der Unterzeichnung der Ostverträge der Regierung Brandt, nahm zum ersten Mal mit dem Dokumentarfilm »Mit dir und ohne dich« ein Werk aus der Sowjetunion am Festival teil, zunächst außer Konkurrenz. 1975 kam die DDR hinzu – die Berlinale war immer auch ein Spielball der Weltpolitik.

Schon die erste Ausgabe des Festivals war ein großer Erfolg, die Bewohner der zerstörten Stadt waren kaum zu halten. Die Festakte fanden unter freiem Himmel in der Berliner Waldbühne statt, die 20 000 Menschen fasste. Das Premierenkino war der Titania-Palast in Steglitz, ein bisschen weg vom Schuss, wie viele fanden. 1957 dann zog das Festival in die damalige Mitte West-Berlins, in die Gegend rund um den Kurfürstendamm – und in den neu eröffneten Zoo-Palast, in dem bis 1999 das Herz der Berlinale schlug.

Die politischen und gesellschaftlichen Umbrüche der 60er Jahre spiegelten sich auch auf der Berlinale. Obwohl die Filmfestspiele versuchten, etwa mit Regisseuren der Nouvelle Vague, neuen Schwung ins Programm zu bringen, wurde der Berlinale von einer jüngeren Kritikergeneration Stagnation vorgeworfen. Zu einem handfesten Skandal kam es 1970. Der Vietnamfilm »o.k.« von Michael Verhoeven, der die Vergewaltigung und Ermordung einer Vietnamesin durch US-amerikanische Soldaten zeigte, spaltete die Jury und führte zum Abbruch des Festivals.

Das führte zur vielleicht wichtigsten Reform des Filmfests. Schon 1969 hatten die Freunde der deutschen Kinemathek eine Art Gegenfestival veranstaltet. 1971 wurde diese Gegenveranstaltung als »Internationales Forum des jungen Films« und zweite große Säule unter der Leitung von Ulrich Gregor in die Berlinale integriert. Diese Sektion gibt es bis heute, aus der latenten bis offenen Konkurrenz ist allerdings eine konstruktive Zusammenarbeit geworden.

Auch wenn die alte Dame Berlinale Cannes nie den Rang abspenstig machen konnte: Sie ist Deutschlands wichtigstes Filmfestival geblieben – und im Unterschied zur Konkurrenz an der Côte d'Azur ein echtes Publikumsfestival. Die Zuschauer übernachten an den Ticketständen in den Potsdamer Platz Arkaden, um am frühen Morgen noch Karten zu bekommen.

Und die Berlinale hat durchaus Entdeckungen gemacht: 1987 und 1988 liefen in allen Sektionen die wichtigsten Filme der Perestroika, in den 90er Jahren streckte sie ihre Fühler nach dem asiatischen Kino aus. Und der seit 2002 amtierende Leiter Dieter Kosslick hat sich, mit wechselnden Ergebnissen, wiederholt für den politischen Film starkgemacht.

Meine Sicht Seite 11

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