Zum Tod Curth Flatows
Lachen über uns
Curth Flatow war nach dem zweiten Weltkrieg oder vielleicht überhaupt der erfolgreichste Komödienautor deutscher Sprache. Die Komödie und das Theater am Kurfürstendamm verdanken ihm legendäre Erfolge. Allein der »Mann der sich nicht traut« mit Georg Thomalla lief hier über 500 Mal en suite vor ausverkauftem Haus und wurde sogar später noch einmal wiederaufgenommen. Fast alle Stücke Flatows wurden in unseren Häusern gespielt, meist als Uraufführungen, und alle waren Publikumsmagneten. Sogar sein ernstes: »Die Durchreise, die Geschichte einer jüdischen Firma«.
Der Autor gehörte zu der Generation, die die wunderbare Theaterzeit aus den Trümmern gehoben hat, denn nicht nur Gebäude waren zerstört, auch Geist, Kunst und Humor waren wiederherzustellen. Da hat er kräftig mit Hand angelegt.
Flatow war Lehrling in einer jüdischen Konfektionsfirma im Vorkriegsberlin. Nach dem Krieg verdiente er sein Geld als Sketchschreiber und Conférencier für Kabarett und Rundfunk, er schrieb Hörspiele und Drehbücher, aber vor allem Komödien. Und das in einem Land, in der diese Gattung schon bei den Klassikern rar war. Theater und Komödie am Kurfürstendamm sind ihm für seine Arbeit zu Dank verpflichtet!
Er war einer der wenigen wirklichen Boulevardstückeschreiber, etwa in der Tradition von Curt Goetz oder den großen Franzosen Feydeau, Labiche und Molière. Seine Stücke spielten nicht in Hinterhöfen und auch nicht in Schlössern, sie beschrieben den Mittelstand, die Leute, die gerne ins Theater gehen. Er ließ uns über unsere Schrullen, kleinen Eskapaden, Fehltritte, Fehler, Nöte, den Alltag, den Arzt lachen – und besonders gern über unsere Nachbarn. Seine Pointen und geistreichen Wortspiele waren immer überraschend. Seine Ideen flossen förmlich aus ihm heraus. Dabei hatten seine Pointen oft auch etwas Selbstironisches, Sarkastisches oder Trauriges in sich. Eine Begabung wohl, die im Blut seiner jüdischen Vorfahren wohnte und die er als Lehrling in der jüdischen Konfektion auffrischen konnte. Er erlebte deren Niedergang und überlebte die Reichskristallnacht.
Gerne rücke ich Flatow in die Nähe des amerikanischen Autors Neil Simon. Wie dieser war Curth Flatow nicht nur im Theater zu Hause. Auch der deutsche Film und das Fernsehen verdanken ihm sehr viel: u. a. die Serie »Ich heirate eine Familie« oder »Die Durchreise« nach dem Theaterstück oder die Sketchserie »Ein verrücktes Paar«. Die meisten Juhnke-Songs im TV stammten aus seiner Feder.
Am letzten Freitag hatte Curth Flatows letztes Stück »Kundendienst« in unserer Hamburger Komödie umjubelte Premiere, eine Produktion des Theaters am Kurfürstendamm. Nach diesem neuen Erfolg seiner Texte und Einfälle sahen wir, der über 91-jährige Autor war gar nicht alt geworden. So wird er uns noch mehr fehlen.
Aber natürlich fehlt uns am meisten der Mensch. Unser herzliches Beileid gilt seiner reizenden Frau Brigitte und seiner ganzen Familie.
Jürgen Wölffer war lange Jahre der Leiter von Theater und Komödie am Kurfürstendamm
In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!