Drucker kämpfen für die 35-Stunden-Woche
Verlagsangestellte, Zeitungsredakteure und Druckereibeschäftigte wehren sich gegen massive Verschlechterungen
Eine Woche vor der nächsten Verhandlungsrunde kamen Donnerstagmittag über 3000 Drucker, Redakteure und Verlagsangestellte aus allen Himmelsrichtungen zu einer zentralen Streikkundgebung auf den Römerberg mitten in der Mainmetropole Frankfurt. Aufgerufen hatten ver.di und der Deutsche Journalistenverband (DJV).
Zeitgleich mit der Frankfurter Versammlung beteiligten sich nach Gewerkschaftsangaben wieder viele tausend Beschäftigte zwischen Flensburg und Konstanz an Warnstreiks und bekundeten damit ihre Bereitschaft zur Verteidigung bestehender Tarifverträge und Abwehr drastischer Verschlechterungen von Einkommen und Arbeitsbedingungen. In den tarifgebundenen Druckereien geht es um die historische Errungenschaft der 35-Stunden-Woche. Vor genau 27 Jahren hatte die damalige IG Druck und Papier im Schulterschluss mit der IG Metall den Einstieg in die Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich erkämpft
Schon früh auf dem Platz steht der Kasseler Mediengestalter Torsten Fink. Er hat eine Facebook-Gruppe eingerichtet, auf der die ver.di-Streik-Akteure bundesweit Informationen und Bilder über die Streikbewegung austauschen und die aktuelle Lage diskutieren. »Die wird auch gelesen«, freut er sich über den regen Zuspruch, zumal dieses Medium eine Verbreitung von ungefilterten Streikmeldungen in Windeseile ermöglicht und damit die Sache des Arbeitskampfes und den Zusammenhalt bundesweit fördert.
Aus Kassel sind zwei Busse mit Streikenden nach Frankfurt gekommen. »Wir haben alle gewerblichen Mitarbeiter auf der Straße, nur die Vorgesetzten streiken nicht mit«, erzählt ein Kollege von Torsten Fink: »Wir streiken auch durch die Sommerpause durch, denn die Tageszeitungen erscheinen ja auch in den Schulferien. Eine Atempause bei uns würden die Arbeitgeberseite ausnutzen«, meint er. Darauf will er auch als Mitglied der Tarifkommission achten, wenn diese in der übernächsten Woche wieder zusammenkommt. »Wir dürfen den Forderungen der Unternehmer nicht nachgeben.« Von 130 Streikenden bei der Zeitungsdruckerei Dierichs, die Lokalzeitungen in Nordhessen und Südniedersachsen produziert, stehen 70 hier in Frankfurt. Der Rest ist im Urlaub, krank oder zur Streikwache in Kassel geblieben. Gab es in Kassel Probleme, die Kollegen für den Streik zu motivieren? »Nein, eher im Gegenteil, es ist schwieriger, die Kollegen nach einem befristeten Warnstreik wieder in den Betrieb reinzubringen«, meint ein ver.di-Aktivist.
Dass sich seine Basis auch bis in den Herbst hinein für die Verteidigung der 35-Stunden-Woche in der Druckindustrie und die Abwehr massiver Verschlechterungen engagieren will, weiß auch ver.di-Vize Frank Werneke, seit zehn Jahren Verhandlungsführer für den Druckbereich. »Das wird ein langer Kampf, der Monate dauern wird«, prophezeit er und lobt insbesondere die streikenden Leiharbeiter für ihren Mut. Billiglöhne werde es mit seiner Gewerkschaft nicht geben, versichert Werneke und fordert gleiche Bezahlung für alle.
»Die Arbeitgeber hassen die 35-Stunden-Woche wie die Pest. Das war eine historische Niederlage für sie«, blickt er auf den langen Arbeitskampf 1984 zurück. Nun komme es darauf an, eine Arbeitszeitverlängerung ebenso zu verhindern wie ein faktisches Ende des Flächentarifvertrags, eine Entwertung der Berufe und die Rückkehr zu einer »Maschinenbesetzung nach Gutsherrenart« an großen Rotationsdruckmaschinen. Arbeit dürfe »nicht zur Knochenmühle werden«.
Unübersehbar und unüberhörbar bei dieser Streikversammlung ist ein neues »Wir-Gefühl« zwischen ver.di und DJV. Dass sie jetzt in der Not zusammenrücken, liegt nicht nur an den Laufzeiten der gekündigten Tarifverträge, sondern auch an der Gleichartigkeit der Angriffe aus dem Unternehmerlager. Schließlich sitzen in den zuständigen Gremien der beiden federführenden Arbeitgeberverbände bvdm und BDZV teilweise auch dieselben Personen.
Nächste Woche gehen die separaten Tarifgespräche für Druckereiarbeiter, Verlagsangestellte und Tageszeitungsredakteure weiter. Dass die Arbeitgeberseite einsichtig wird, glaubt hier auf dem Römerberg niemand. Auch nicht DJV-Hauptgeschäftsführer Kajo Döhring, der von einem »existenziellen Abwehrkampf« spricht und etwas wehmütig auf einen »jahrzehntelangen sozialpartnerschaftlichen Konsens« zurückblickt. »Ich schlafe nicht mit der roten Fahne unterm Bett, aber wenn sie gebraucht wird, holen wir sie raus«, kündigt er an.
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