Wege zum Schrecken

»Breaking News: Fukushima and the consequences« möchte die japanische Tragödie aufarbeiten

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 3 Min.

Fukushima verändert. Nicht nur die Politik, auch die Kunst ist davon betroffen. Dies belegt eine von Leiko Ikemura initiierte und kuratierte Ausstellung in den Kunst-Werken. In »Breaking News: Fukushima and the consequences« hat die japanische Künstlerin Werke zusammengetragen, die zum großen Teil lange vor Tsunami und Kernschmelze im Nordosten von Japans Hauptinsel Honshu entstanden sind, die durch dieses Ereignis aber neu aufgeladen werden.

Am prägnantesten ist diese Aufladung sicherlich bei einer Arbeit des japanischen Fotografen Daido Moriyama zu beobachten. Ein gutes Dutzend geköpfte Thunfische sind auf einer ebenen Fläche ausgebreitet. Die massigen Körper, die von den Umrissen so ähnlich, aber dennoch so individuell verschieden aussehen, gleichen seltsam umwickelten Mumien, verwitterten technischen Apparaturen oder Bomben, die nach Jahren im Erdreich wieder ans Tageslicht gehoben wurden. Es sind unheimliche Objekte.

Einen kühlen Schauder ruft auch eine Fotografie von Yutaka Takanashi hervor. Sie zeigt eine Meereswelle, die auf eine Stadt zurast. Das Foto ist 1971 entstanden; es gibt keinen Hinweis, dass es sich um eine Flutwelle handelt. Dennoch sorgt der Kontext der Ausstellung dafür, dass sich die Nackenhaare alarmiert aufstellen.

Als ein Vorwissen möchte die Ausstellungsinitiatorin solcherart Bilder gedeutet sehen, als eine Ahnung davon, dass manches nicht richtig läuft und dass wir Menschen nur die Zeichen nicht richtig zu entschlüsseln gewusst hätten. Wie eine Drohung wirkt denn auch der strahlende Buddha, dem der Filmemacher Wim Wenders in einem japanischen Tempel begegnet ist und dessen glänzendes Abbild jetzt ebenfalls Teil der Ausstellung ist.

Jenes Abbild blickt auf die einzigen Arbeiten, die nach der Katastrophe entstanden sind. Die Fotografin Lieko Shiga hat mit ihrer Kamera die Verwüstungen dokumentiert, die der Tsunami ausgelöst hat. Ganze Häuser sind da vom Boden gerissen und schief in die Landschaft gesetzt. Planken, Stangen, Trümmer aller Art bedecken den Boden. Menschen beim Mittagessen in Notunterkünften werden gezeigt, Menschen, die Listen abarbeiten – Listen mit Vermissten, die den Status der Toten erlangen. Auch Särge sind zu sehen; sie sind arrangiert wie die Thunfischkadaver aus der Fangzeit vor Fukushima.

Eine Brücke ganz weit in die Vergangenheit schlägt schließlich eine Arbeit von Shgomei Tomatsu. Sie zeigt eine leicht beschädigte Armbanduhr, deren Zeiger beim Moment des Atombombenabwurfs auf Nagasaki stehen blieben. Zwei Atomkatastrophen schnurren in einer Ausstellung zu einem schrecklichen Augenblick zusammen.

»Breaking News: Fukushima and the consequences« ist ein achtbarer Versuch, sich der Katastrophe künstlerisch anzunehmen. Die Ausstellung verfällt nicht dem Irrglauben, die Medienbilder noch überbieten zu müssen, sondern versucht, sich auf anderen Wegen dem Schrecken zu nähern. Schade ist nur, dass sie in ein Nebengelass der Kunst-Werke im Vorderhaus in der Auguststraße gepfercht ist und man den Eindruck gewinnt, sie sei dorthin abgeschoben.

Bis 17.7., Eintritt frei, Kunst-Werke, Auguststr. 69, Di.-So. 12-19, Do. bis 21 Uhr, weitere Informationen unter Tel.: (030)-243 45 90

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