Den Namen zurückgeben
Verein stellt Gedenkbuch mit 3100 von Nazis umgebrachten Wuppertalern ins Internet
Nach langwierigen Aktenstudien und geduldigen Befragungen von Zeitzeugen hat der Verein zur Erforschung sozialer Bewegungen Wuppertals ein Gedenkbuch für die in der Stadt beheimateten Opfer aus der Nazizeit ins Internet gestellt. Darin sind Namen von reichlich 3100 Bürgern aufgelistet, die von Nazis ermordet wurden beziehungsweise in Lagern, Gefängnissen, sogenannten Heil- und Pflegeanstalten oder bei der Zwangsarbeit den Tod fanden.
»Wir möchten den NS-Opfern ihre Namen, ihre Gesichter, ihre Lebensgeschichten und ein wenig ihre Würde zurückgeben«, sagt Vize-Vorsitzender Stephan Stracke dem ND. Der 1999 gegründete Verein, zu dem acht Wissenschaftler sowie weitere Mitglieder und Förderer gehören, erforscht vor allem den Widerstand und die Verfolgung in Wuppertal während der NS-Zeit. »Die Ergebnisse haben wir in einer bisher elfbändigen Buchreihe vorgelegt«, so Stracke.
Das Gedenkbuch – in Deutsch, Englisch und Russisch niedergeschrieben – beansprucht keineswegs, vollständig zu sein. Die Autoren stießen vielfach auf Unstimmigkeiten. Manche Lebensabschnitte ließen sich überhaupt nicht aufhellen. Was vor allem damit zusammenhängt, dass sich die Täter und deren Handlanger in der damaligen Staatsbürokratie bemühten, Spuren zu verwischen, zu verfälschen, zu tilgen, unkenntlich zu machen. Das betrifft oftmals konkrete Hinweise darauf, wer wann und vor allem warum zu Tode kam.
Auch alliierte Soldaten
Manchmal wurden nicht einmal die Namen derer bekannt, die in Wäldern hingerichtet oder nach dem Tod in den Gaskammern in KZ-Öfen verbrannt wurden. Manche NS-Opfer gelten bis in unsere Tage als verschollen, heißt es im Gedenkbuch. Was und wer ein Wuppertaler im Sinne der Dokumentation ist, wird weit gefasst: Leute, die hier geboren wurden oder gestorben sind, solche, die von örtlichen Militärgerichten zum Tode verurteilt und anderswo hingerichtet wurden, alliierte Soldaten, die in Kämpfen um die Stadt ums Leben kamen. Auch Ehren-Wuppertaler sind vermerkt – Niederländer, die sich 1935/1936 mit Arbeitern solidarisierten, die in den Wuppertaler Gewerkschaftsprozessen verurteilt worden waren. Nach der Besetzung der Niederlande 1940 kamen viele dieser Aktivisten in Vernichtungslagern der Nazis um.
Die Schicksale der jüdischen Bürger und der Widerstandskämpfer konnten größtenteils ergründet werden. Viel zu wenig sei aber über die 1000 Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen bekannt, die in der Stadt von der Gestapo erhängt, erschossen oder in »Arbeitserziehungslagern« und KZ zu Tode geschunden wurden, meint Stephan Stracke. »Die Mehrheit von ihnen starb beim ›Arbeitseinsatz‹ in Wuppertal, bei Bombenangriffen und Betriebsunfällen, sie starben an Tuberkulose, Ruhr, Lungenentzündung und Unterernährung.«
Zeugen Jehovas, Sinti und Roma konnten benannt werden, dazu Opfer der Militärjustiz, einstige politische Häftlinge, die in Strafeinheiten den Tod fanden, erläutert Stracke, darüber hinaus jene, die als Spanienkämpfer oder Partisanen Widerstand geleistet hatten. Einbezogen wurden Bürger, die als »Asoziale«, »Arbeitsscheue«, Homosexuelle, »Rasseschänder«, »Berufsverbrecher«, »Plünderer« oder »Volksschädlinge« festgenommen und in KZ eingeliefert wurden.
Mitwirkung erbeten
Das Gedenkbuch strebt Authentizität an. Deswegen wurden Angehörige der Opfer und andere nach dem Wiki-Prinzip gebeten, mit Fotos, Dokumenten und Erinnerungen beizusteuern, um sie mit »dem Verein, der Wissenschaft und der Öffentlichkeit zu teilen«, so Stracke. Nach dem Aufruf, der nunmehr zwei Monate alt ist, kamen inzwischen einige Hinweise auf bislang kaum bekannte Details. Auch neue Opfernamen wurden genannt, die man jetzt gegenrecherchiert.
Informationen im Internet unter:
www.gedenkbuch-wuppertal.de; www.wuppertaler-widerstand.de; www.gewerkschaftsprozesse.de
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