Geknetete Persönlichkeit

Das Theater unterm Dach zeigt Anja Gronaus »UNTERTAN – Wir sind dein Volk«

  • Kilian Klenze
  • Lesedauer: 3 Min.

Im Juli 1914 hatte Heinrich Mann seinen Roman »Der Untertan« beendet, jene beißende Satire auf die erwünschte Unterordnung im wilhelminischen Deutschland. Nicht nur Lob erntete er damit, hatte er doch treffend den Geist der Zeit eingefangen. Wohin die Unterwürfigkeit führte, zeigte der Hurrapatriotismus, mit dem die Jugend in den unmittelbar nach Fertigstellung des Buchs ausbrechenden Weltkrieg zog. Auch Wolfgang Staudtes Verfilmung des Stoffes bei der DEFA, heute als Meisterwerk apostrophiert, tat 1951 Wirkung: Lange blieb sie im Adenauer-Staat verboten. Nach einem WDR-Hörspiel von 1971 stellt nun Anja Gronau die Dramatisierung des Romans für die Bühne im Theater unterm Dach vor: als Ein-Personen-Stück, für das Dirk Baumann den Text auf die markanten Stationen im Werden Diederich Heßlings verdichtete. »UNTERTAN – Wir sind dein Volk« heißt es provokant und zielt bewusst auf die Gegenwart.

Helle Stellwände bilden den Hintergrund, vor dem drei Tische als Requisiten dienen, aus denen der Darsteller formt, was er braucht: Möbel, Kneipe, Boot. Eingangs liegt er ganz verwühlt mit Lumpen unter einem Tisch. Der kleine Diederich ist er da, der sich im schweißgeschwängerten Lumpensaal wohlfühlt. Fasziniert schildert er, wie in der Fabrik seines Vaters daraus weißes Papier entsteht, unterm Stampfen, Schneiden, Zischen der Maschinen. Wie er sich mit Knöpfen bestechen lässt, wenn er Arbeiter beim Biertrinken erwischt. Und wie er die Schläge des Vaters genießt, weil sich darin ebenso Macht ausdrückt wie in den Züchtigungen durch die Lehrer. Als einer seiner Prügelpädagogen suspendiert wird, begreift Diederich, was Macht bewirken kann. In Berlin, an der Friedrich-Wilhelm-Universität, wo er Chemie studiert, erhält er weitere Schulung hin zu sich selbst. Widerwillig besucht er den Zellulose-Fabrikanten aus demselben Provinznest Netzig, träumt von dessen Tochter Agnes. Deren schneidig studentischer Freund wirbt ihn für eine Korporation; mehr Schliff noch gibt ihm das Militär, beim Robben unterm Tischeverhau, wo die Persönlichkeit neu geknetet wird: Majestät liebt nur Gediente. Dass sich Heßling beim Netziger Hausarzt ein Attest verschaffen will, um sich zu drücken, wird ihm später fast zum Verhängnis.

Wieder webt die Macht für ihn. Der Oberstabsarzt, Bekannter der Familie, versetzt ihn zum Stiefeldienst. Mit Speichel leckt er die Schuhe blank, je höher der Rang des Besitzers, desto größer die Hingabe. Dann die erste Bewährung. »Brot, Arbeit!« skandieren jene, die zum Schloss ziehen. Seinem Kaiser eilt der Patriot bis zum Brandenburger Tor nach, wirft sich vor ihm mit Hurra in den Staub, fühlt sich, bei späterer Betrachtung, vom Monarchen ausgelacht. Bleibt ihm Agnes, die ihn liebt, die er aber nicht heiraten kann, aus sozialem Gewissen: Sie ist nicht mehr rein. Denn er will nach oben.

In Netzig dann schlägt seine Stunde, mit dem Doktor in der Tasche und als neuer Firmenchef. Forscher soll fortan gearbeitet werden: Sozis raus, erledigt jeden, der gegen die Regierung ist. Unter den Freisinnigen im Ratskeller, die er so verachtet, ist auch jener Arzt von einst. Also: paktieren, intrigieren, Schwächen eruieren. Zum Stadtverordneten avanciert Heßling, schafft ein Klima aus Angst und Denunziation. Das reinigende Unwetter des Romans bleibt aus.

Wie Alexander Schröder, an Schau- und Volksbühne tätig, ebenso im Hebbel- und Renaissance-Theater, das Riesenpensum eines 90-Minuten-Monologs bewältigt, wie er windgeschwind von Rolle zu Rolle wechselt, vom träumerischen Kind und formbaren Studenten zum despotischen Firmenleiter wird, ist nachwirkende Lektion in Schauspielkunst. Viel Typisches hält er für all die Charaktere bereit, verausgabt sich redlich, füllt den Raum laut und leise mit einer Figur, der man lieber nicht begegnen möchte. Wenn das ginge.

18., 19.6., Theater unterm Dach, Danziger Str. 101, Kartentelefon (030)-902 95 38 17

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