Von Nofretete beflügelt
Das frisch aus der Taufe gehobene Festival »Klavierfieber« bietet Konzertabende der etwas anderen Art
Sollten Sie dieser Tage einem Laster begegnen, auf dessen Transportfläche ein Pianist am Flügel musiziert, so handelt es sich um eine Art mobile Litfasssäule. Die Werbung auf Berlins Straßen gilt dem frisch aus der Taufe gehobenen Festival »Klavierfieber«, das heute eröffnet wird.
Nun befindet sich die Hauptstadt ohnehin den ganzen Sommer über im Festivalfieber; eine weitere Veranstaltungsreihe mag man da für überflüssig erachten. »Klavierfieber« wartet jedoch mit einem ganz besonderen Konzept auf: Es verbindet Bildende Kunst, die große Klavierliteratur der vergangenen Jahrhunderte und zeitgenössische Musik.
Die Idee ist folgende: Sechs Komponisten lassen sich von sechs Kunstwerken inspirieren und schreiben daraufhin sechs Auftragswerke für Klavier. Und sechs junge Pianisten – allesamt Preisträger wichtiger Wettbewerbe – bringen diese Stücke dann binnen sechs Tagen zur Uraufführung. Ergänzt wird dieses Programm durch Matineen mit Meisterwerken aus verschiedenen Epochen der Klaviermusik.
»Wir wollen junge Pianisten und auch das Publikum zur Beschäftigung mit zeitgenössischer Musik und zu neuen, interdisziplinären Wegen der Auseinandersetzung mit Kunst stimulieren«, sagt Dieter Rexroth, der künstlerische Leiter von »Klavierfieber«. Die jeweils augewählten Kunstwerke werden in den Konzerten visualisiert; zudem finden Gespräche mit den Komponisten statt.
Um diese interdisziplinäre Veranstaltungsreihe ins Leben zu rufen, sind das Jugendorchester-Festival »Young Euro Classic« und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz eine Kooperation eingegangen. Die sechs mit Aufträgen bedachten Komponisten – darunter drei Damen – haben sich nämlich von Kunstwerken aus dem Bestand der Staatlichen Museen zu Berlin inspirieren lassen.
Die Spannbreite reicht von der Antike bis zur Gegenwart. Publikumsrenner wie die Büste der Nofretete, das Markttor von Milet oder Caspar David Friedrichs »Einsamer Baum« finden sich darunter; aber auch Hannah Höchs ebenso kritische wie witzige dadaistische Collage »Schnitt mit dem Küchenmesser Dada durch die letzte Weimarer Bierbauch-Kulturepoche Deutschlands«.
Höchs Collage hat Jens Joneleit zu seinem Klavierwerk »Schnitt« angeregt. »Ich vertone hier jedoch nicht bildlich Dargestelltes, sondern übertrage den Arbeitsprozess der Collage ins Musikalische«, sagt der Komponist. »Ich verwende bereits existierendes Material, setze das Zufallsprinzip ein und stelle neue Zusammenhänge in der Zusammenhanglosigkeit her.«
Am 26. Juni wird der kanadische Pianist Winston Choi die Joneleit-Uraufführung bestreiten; zudem interpretiert er Brahms, Debussy und Ravel. Ort des Geschehens ist die Neue Nationalgalerie. Der Besucher kann sich also vor dem Konzert die Collage im Original anschauen.
Auch die anderen Aufführungsorte befinden sich am Berliner Kulturforum: die Philharmonie, die Staatsbibliothek, die Gemäldegalerie, die Neue Nationalgalerie, das Musikinstrumenten-Museum und die St. Matthäus-Kirche. In den Museen ermöglicht die Konzertkarte den Ausstellungsbesuch vor Veranstaltungsbeginn.
Am 24. Juni wird die Pianistin Mizuka Kano im Rahmen des Festivals »Klavierfieber« auftreten. Die Preisträgerin des Schumann-Wettbewerbs in Zwickau hält das Festivalkonzept für äußerst sinnvoll. »Berlin ist zwar eine große Stadt mit regem Musikleben«, meint Mizuka Kano. »Dennoch ist es für jüngere Musiker schwierig, hier aufzutreten, da so viele weltberühmte Künstler in die Stadt kommen.«
Einer dieser großen Tastenstars reist auch zur Eröffnung von »Klavierfieber« an: Die russisch-österreichische Pianistin Elisabeth Leonskaja spielt heute Abend im Kammermusiksaal der Philharmonie deutsche Romantiker und französische Impressionisten.
»Klavierfieber« 20.-26. Juni, Ticket-Hotline: 01805-969 00 00; www.klavierfieber.de
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!