Mit Lotsen das Eis brechen
Im Öffentlich geförderten Beschäftigungssektor werden arbeitslose Migranten zu Mediatoren
»Es gibt große Missverständnisse zwischen Institutionen und arabischen Eltern«, erklärt Ghassan Hajjo. Als Mediator der Willy Brandt-Schule in Kreuzberg übersetzt, begleitet und berät Hajjo nichtdeutsche Eltern im Schulalltag. Finanziert wird seine Stelle aus Geldern des Öffentlich geförderten Beschäftigungssektors (ÖBS) – dem Vorzeigeprojekt der Linkspartei. Dessen Erfolg ließ sich Sozialsenatorin Carola Bluhm (LINKE) gestern auf einer ÖBS-Sommertour bestätigen.
Eine Station der Tour war die Arabische Elternunion. Sie ist einer der Standorte, an denen 249 arbeitslose Migranten qualifiziert werden. Als Lotsen mit dem Schwerpunkt Familie, Gesundheit oder Ausbildung arbeiten sie bis zu drei Jahre für einen Regellohn. 20 dieser ÖBS-Stellen ermöglichen der Elternunion die Betreuung von acht Schulen. Die Verankerung der Lotsen in den Communities ist dabei zentral. »Die Familien haben die gleichen Probleme wie ich früher«, berichtet Fathia Maddahi. Sie ist Mutter von vier Kindern und hat eine ÖBS-Stelle bei der Arbeiterwohlfahrt (AWO). Gemeinsam mit anderer nichtdeutschen Frauen vermittelt sie zwischen Eltern, Kindern und Behörden. »Für viele bin ich ein Vorbild«, sagt sie.
Die Lotsen berichten von einer »Misstrauenskultur«, die ihre Arbeit nötig macht. Viele Familien haben negative Erfahrungen mit deutschen Behörden gemacht. Von einer Skepsis gegenüber der Schule berichtet auch Christiane Steimer-Ruthenbeck, Schulleiterin der Otto-Wels-Grundschule in Kreuzberg. 80 Prozent der Eltern sind dort türkischer Herkunft, 16 Prozent arabischer. »Wir haben immer das Gespräch gesucht, aber es gab Barrieren«, erzählt Steimer-Ruthebeck. Erst mit den ÖBS-Beschäftigten aus der eigenen Community sei das Eis gebrochen. Die Lotsen hätten etwa erreicht, dass alle Kinder einer 6. Klasse mit auf die Klassenfahrt durften – einmalig in der Geschichte der Schule.
Auch Magda Abu-Heleka arbeitet als Elternlotsin, organisiert Elterncafés, Sprechstunden und ein mehrsprachiges Bilderbuchkino, das sie selbst ins Arabische übersetzt. Abu-Heleka kennt die Probleme der arabischen und türkischen Eltern. Viele kommen aus Kriegsgebieten und haben kaum Erfahrung mit Bildung – entsprechend groß sind die Ängste. »Wir zeigen den Eltern, wie man die Kinder in der Schule unterstützt.« In Ägypten hatte Abu-Heleka zwar schon acht Jahre als Grundschullehrerin gearbeitet. In Deutschland aber war sie lange arbeitslos. Nun beginnt sie ein Studium.
Wie sie haben auch andere Frauen auf ÖBS-Stellen jahrelange Arbeitserfahrung. Zum Sprung in den ersten Arbeitsmarkt hat sie ihnen nicht verholfen. Bayaarma Yalcin kam mit 20 Jahren nach Deutschland. Für eine Schulausbildung war sie schon zu alt. »Erfahrungen habe ich viele«, berichtet sie. »Aber reingekommen bin ich nirgends.« Nun hat sie eine öffentlich geförderte Stelle bei der AWO. Sie arbeitet mit Eltern und Kindern, kooperiert eng mit dem Jugendamt. »Im August beginne ich meine Ausbildung«, sagt Yalcin.
Allerdings ist der Einstieg in die Ausbildung oder reguläre Beschäftigung schwierig. Dabei könnte der Erziehermangel den Lotsen nach dem Auslaufen ihrer ÖBS-Stelle zupass kommen. »Der Mangel ist groß«, sagt Barbara Foerster, die bei der AWO ein Programm für die Unterstützung der frühen Bildung leitet. »Wir brauchen dringend Erzieherinnen mit einer Migrationsgeschichte.«
Sozialsenatorin Bluhm hofft darum, dass künftig mehr Lotsen eine Ausbildung beginnen können, denn Chancen haben sie damit allemal. Nun müsse der Übergang in den ersten Arbeitsmarkt gesichert werden. »Über den ÖBS finden Menschen aus der Arbeitslosigkeit in die Regelinstitutionen und alle profitieren«, ist sie überzeugt. Zur Zeit steht allerdings der ÖBS selbst zur Debatte. Die Opposition würde ihn gerne abgeschafft sehen. Fürs erste wird die LINKE-Senatorin darum ihre Kräfte für den Erhalt des Status Quo – derzeit knapp 6000 Stellen – reservieren müssen.
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