Psychodrama in der Wolfsschlucht

Drei Studenten stemmen eigenverantwortlich eine »Freischütz«-Produktion

  • Antje Rößler
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Brautjungfern beim Schönheitsschlaf
Die Brautjungfern beim Schönheitsschlaf

Das verbreitete Dilemma von Musikstudenten: Man ist begabt und ehrgeizig, doch es fehlt an praktischer Erfahrung. Ähnlich ging es auch dem angehenden Dirigenten Elias Grandy und dem zukünftigen Opernregisseur Maximilian von Mayenburg, die an der Musikhochschule Hanns Eisler eingeschrieben sind. »Wir streben beide Berufe an, für die man einen riesigen Apparat braucht«, erzählt von Mayenburg. »Zwar ist unsere Hochschule recht gut ausgestattet. Aber die Möglichkeit, eine vollständige Oper mit Orchester zu inszenieren, gibt es selten.«

Vor gut einem Jahr fassten die beiden deshalb den Entschluss, selbst eine Oper zu produzieren. Ausstatterin ist Nora Johanna Gromer, die Bühnenbild an der Technischen Universität studiert.

Aus finanziellen Gründen sollte das aufzuführende Stück auch von Laienmusikern und Gesangsstudenten zu bewältigen sein. Die Wahl fiel auf Carl Maria von Webers »Freischütz«. Maximilian von Mayenburg interessiert daran weniger das Wald- und Jägermärchen. Er liest die deutsche Nationaloper als Familiendrama, indem er erkundet, zu welchen Perversionen die blinde Befolgung überlieferter Traditionen führt.

Die drei Opernmacher suchten nun einen geeigneten Raum. Fündig wurden sie im »Heimathafen Neukölln«, einem ehemaligen Ballsaal, der sich mit seiner Empore den Charme der Vergangenheit bewahrt hat.

Zwar kümmern sich alle jeweils um den eigenen Bereich; die Grundidee ist jedoch, das Stück im Team auf die Bühne zu bringen. »Wir sehen die Musik und das Bühnengeschehen als Einheit. Wir knüpfen aneinander an, inspirieren oder widersprechen uns«, erklärt der Dirigent Elias Grandy. Meinungsverschiedenheiten bleiben da nicht aus. Die seien aber durchaus konstruktiv. »Der Umgang mit Konflikten gehört für mich zu diesem Lernprozess «, ergänzt von Mayenburg.

Schließlich bat Elias Grandy das Sinfonie Orchester Schöneberg, ein Laien-Ensemble, um seine Mitwirkung. »Die Musiker freuten sich, dass sie mal eine Oper spielen können. Laien haben dazu ja kaum Gelegenheit«, erzählt der Dirigent, der die Instrumentalisten durch sein mitreißendes Naturell und die sorgfältige Probenarbeit anspornt, ihr Bestes zu geben. Grandy sorgt für große Spannungsbögen und feine Lautstärke-Nuancen. Vor allem aber inspiriert er die Musiker zu einem schwungvollen und leidenschaftlichen Spiel.

Im vergangenen November ging man an die Auswahl der Gesangsstudenten für die Solo-Partien. Von Mayenburg und Grandy pinnten Aushänge in die Berliner Musikhochschulen und veranstalteten ein Casting. Den nachhaltigsten Eindruck hinterlässt nun Katharina Schrade als Ännchen. Die ist hier jedoch kein heiterer Backfisch, sondern eine abgebrühte Zynikerin – ein interessant verfremdetes Rollenbild. Zudem überzeugt Adam Cioffari mit seinem sonoren Bass als Kaspar.

Das Inszenierungsteam kümmerte sich vollkommen eigenverantwortlich um Organisation und Finanzierung. So lernten die drei beizeiten, dass künstlerische Produktion ohne Sorge um den finanziellen Rahmen nicht zu haben ist. Da sie auf öffentliche Mittel verzichten, haben sie das Budget des Projekts auf 15 000 Euro gedrückt. Eine Gage bekommt hier niemand. Die Saalmiete wird aus den Abendeinnahmen finanziert; und die Produktionskosten decken die Hochschule und private Spender.

Elias Grandy staunt zuweilen selbst über den Lauf der Dinge: »Vor einem Jahr dachten wir noch so ins Blaue, wir würden gerne mal eine Oper machen«, wundert er sich. »Und nun sind wir rund hundert Leute, die alle aus Spaß und aus eigenem Antrieb dabei sind.«

28. Juni, 19.30 Uhr, Heimathafen Neukölln, www.freischuetz-im-heimathafen.de

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