Der Weltpolizist am Limit
Auslandskriege der USA lassen zu Hause die Stimmung kippen
Barack Obamas angekündigter Teilabzug aus Afghanistan ist sowohl eine Reaktion des Präsidenten und seiner in Washington regierenden Demokraten auf die in der Öffentlichkeit wachsenden Rückzugsforderungen als auch die Spekulation, dafür bei der Präsidentenwahl Ende 2012 belohnt zu werden. Ob sein Lavieren aufgehen wird, ist zur Stunde nicht zu sagen. Klar dagegen ist: Seit Obamas Amtsantritt haben die Kriegsausgaben für Afghanistan die Rekordhöhe von 118,6 Milliarden Dollar für 2011 erreicht. 2003, als die USA unter Bush ihr Hauptaugenmerk auf Irak gerichtet hatten, betrug der Wert 14,7 Milliarden.
Neu ist, dass anders als im Wahlkampf 2008 die Kosten des Afghanistan-Krieges heute in den USA ein Schlüsselthema sind. So sehr, dass selbst die bisherigen republikanischen Anwärter auf eine Präsidentschaftskandidatur für einen baldigen Rückzug der US-Truppen auftreten. Hatte 2008 bei den Republikanern, in der Kriegsfrage stets reaktionärer als die Demokraten, nur ein Kandidat (Ron Paul) Bedenken über die Kriegskosten in Irak und Afghanistan geäußert, tut das heute jeder. Der Bewerber und frühere Gouverneur von Utah Jon Huntsman sagte jetzt mit Blick auf Afghanistan: »Nach neun Jahren und 50 Tagen in diesem Krieg und nach Ausgaben von weit über einer Billion Dollar für die Konflikte in Irak und Afghanistan ist es Zeit zu fragen: Was haben wir eigentlich erreicht?«
Diese Frage stellen vor allem die Bürger eines Landes, das nach ihrem Empfinden auf vielen Gebieten immer größere Probleme hat. Die US-Bürgermeisterkonferenz hat soeben gefordert, dass Steuergelder »für Brücken in Baltimore und Kansas City eingesetzt werden, nicht in Bagdad und Kandahar«. Die Resolution ruft den Kongress auf, die Milliarden, die für den Krieg ausgegeben werden, für dringliche Aufgabe daheim zu verwenden. Die Resolution ist nach dem Urteil der »New York Times« »die erste Stellungnahme der Bürgermeisterkonferenz zu äußeren Fragen seit 40 Jahren, als sie zur Beendigung des Vietnam-Krieges appelliert hatte«. Obamas Parteifreund Joe Manchin, Senator für West Virginia, erklärte im Kongress: »Die Frage, vor der der Präsident und wir alle stehen, ist simpel: Entscheiden wir uns für den Wiederaufbau Amerikas oder Afghanistans? In der finanziellen Lage unserer Nation schaffen wir beides zusammen nicht.«
Die innenpolitische Brisanz der Weltpolizistenrolle zeigt sich auch daran, dass Obamas Umfragehoch nach der Tötung Osama Bin Ladens binnen eines Monats dahin ist. Im Vordergrund stehen für die meisten die hohe Arbeitslosigkeit, steigende Benzinpreise oder das trügerische Wirtschaftswachstum, von dem »Joe Durchschnitt« nichts merkt. In den neun Bundesstaaten, die Obama 2008 den Republikanern entriss, wuchs die Arbeitslosigkeit im Schnitt ein Drittel. Der britische USA-Korrespondent Gary Younge resümierte: »Wenn Sie wissen wollen, wie Obama bei der nächsten Wahl abschneidet, blicken Sie nicht auf die Republikaner, sondern schauen Sie sich die Wirtschaft an!«
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