Russenlager und Zwangsarbeit
Porträts und Briefe sowjetischer Kriegsgefangener in der Humboldt-Universität
Jurij Kuznetzow und Jewgenij Platonow gehen von ihren Enkeltöchtern begleitet langsam durch die Ausstellung im Foyer der Humboldt-Universität Unter den Linden. Sie bleiben oft stehen, blicken in die Gesichter ihrer Leidensgefährten, lesen ihre Briefe, lassen sich Zitate aus Erinnerungen übersetzen.
Die beiden fast 90-jährigen Männer waren von 1941 bis 1945 in deutscher Kriegsgefangenschaft und zum 70. Jahrestag des deutschen Überfalls ihrer Heimat nach Berlin gekommen, um mit ihren »Freunden vom Verein KONTAKTE-KOHTAKTbI diese Ausstellung am Tag der Trauer und Erinnerung zu eröffnen«, erzählt Jurij Kuznetzow, Vorsitzender eines örtlichen Veteranenrates in Moskau.
Beide haben während der Kriegsgefangenschaft Zwangsarbeit leisten müssen und als Lohn nur Wassersuppe erhalten. Für Jewgenij Platonow aus dem Gebiet Wladimir ist die Haltung der deutschen Regierung, die zivilen NS-Zwangsarbeitern Entschädigungen zahlte, aber denen nicht, die sie als Kriegsgefangene verrichten mussten, unverständlich. Ihre Anträge wurden abgelehnt und »unsere Hoffnungen bis heute enttäuscht«.
Dieser vergessenen NS-Opfer hat sich der Verein für Kontakte zu Ländern der ehemaligen Sowjetunion angenommen. In einem einzigartigen Bürgerengagement sammelten seine Mitglieder Spenden. Ihr Appell, einen Tagessatz des Einkommens diesen Opfern zu geben, wurde nicht nur von Politikern angenommen. Viele Bundesbürger beteiligten sich. An mehr als 7000 ehemalige sowjetische Kriegsgefangene konnten 2,6 Millionen Euro übermittelt werden – zusammen mit einem Brief, in dem um Verzeihung für erlittenes Unrecht gebeten wurde. Enthalten war die Bitte, Erinnerungen aufzuschreiben. Daraus ist eine umfangreiche Korrespondenz entstanden. Viele sind als Freitagsbriefe im Internet zu lesen, 2007 entstand aus den Lebensgeschichten ein erstes Buch und bis Juni sind mehr als 3000 Erinnerungen übersetzt worden.
Als Jurij Kuznetzow den Brief und die 300 Euro aus Deutschland erhielt, war es für ihn wie die Schüssel voller Brot, die er in einem der Russenlager damals erhielt. Andere Gefangenen gaben von ihrer Ration ein Stückchen ab und halfen ihm so. »Für den Russen ist ein Stück Brot wie ein Stück Leben und die Freunde von Kontakty haben mir mit ihrer Geste der Anerkennung sehr geholfen.« Seine Erinnerungen an die Kriegsgefangenschaft sind sehr unterschiedlich. Er habe die physische Vernichtung gesehen, Bauern getroffen, die halfen, und heimliche Freundschaften zu deutschen Arbeitern gekannt.
Die erschütternden Berichte von ehemaligen Kriegsgefangenen und ihre Porträts stehen im Mittelpunkt der ersten umfassenden Ausstellung über sowjetische Kriegsgefangene. Der Berliner Fotograf Lars Nickel war von den Briefen sehr berührt und suchte die Männer in ihren Heimatorten auf, »um unverfälschte Bilder dieser Menschen zu schaffen und somit ihre Geschichte einem größeren Kreis zugänglich zu machen«.
Vielen Briefeschreibern war es wichtig, dass ihre Worte in Deutschland gehört werden. Diesem Wunsch entspricht die Ausstellung »Russenlager und Zwangsarbeit – Bilder und Erinnerungen sowjetischer Kriegsgefangener«, die mit Unterstützung der Stiftung EVZ entstand. Auch soll sie ein erster Schritt zur »Erinnerungsarbeit für uns« sein, meint Kurator Eberhard Radczuweit. Im Gästebuch ist in russischer Sprache zu lesen: »Danke, dass dieses Thema nicht vergessen wird.«
Bis 20. 7., Hauptgebäude Humboldt-Uni, Unter den Linden 6, Mitte. 30. Juni, 19 Uhr, Dokumentarfilm »Wie schwer, sich daran zu erinnern«, Kontakte-Domizil Feurigstr. 68, 10827 Schöneberg, Tel.: 78 70 52 88.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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