Schuldnerberatung in Geldnot
Landesarbeitsgemeinschaft (LAG): Wir brauchen mehr Personal, um effektiv helfen zu können
ND: Sie fordern vom Land Berlin eine konsequente Aufstockung der Finanzmittel. Begründung: Die Hauptstadt ist das Bundesland, das am stärksten privat überschuldet ist und wo die Beratungsstellen total überlaufen sind. Sie können sich aber nicht mehr Personal leisten. Ist die Schuldnerberatung nun ebenfalls verschuldet?
Wilkening: Wir sind natürlich nicht überschuldet, aber wir bräuchten mehr Kapazitäten, um die Probleme der Menschen mit ihnen zusammen aufzuarbeiten. Die Schuldnerberatungsstellen sind wirklich überlaufen. Wir haben zum Beispiel eine Wartezeit von durchschnittlich fünf Monaten vom ersten Gespräch bis zur Aufnahme in eine laufende Beratung. Wenn wir mehr Berater hätten, dann müssten wir diese Wartezeiten nicht haben.
Die Landesarbeitsgemeinschaft Schuldner und Insolvenzberatung, kurz LAG, ist der Zusammenschluss der Berliner Schuldnerberatungsstellen und arbeitet gemeinnützig. Wie sieht denn die finanzielle Unterstützung des Landes zur Zeit aus?
Die Berliner Schuldnerberatung ist im Vergleich zu anderen Bundesländern relativ gut ausgestattet. Ich muss aber betonen: relativ gut. In Hessen zum Beispiel gibt es gar keine Landesförderung mehr, nur noch über die Kommunen. In anderen Bundesländern wird unterschieden nach Insolvenzberatung oder Schuldnerberatung, was der Arbeit sicherlich nicht dienlich ist. Das ist ein künstliches Auseinanderziehen ohne sachlichen Grund. Berlin hat eine Zuwendungsfinanzierung. Das ist günstig, weil es uns sozusagen Therapiefreiheit gibt. Aber das Geld, das zur Verfügung steht, ist einfach nicht ausreichend, um den Bedarf abzudecken. Wir bräuchten eine Finanzierung von mindestens zwei Schuldnerberatern auf 50 000 Einwohner. Die haben wir nicht. Und in sozial belasteten Kiezen wie Moabit, Wedding, zunehmend Marzahn-Hellersdorf, Kreuzberg brauchen wir wirklich noch eine Aufstockung über diese zwei Berater hinaus.
Können Sie in Euro ausdrücken, was Sie jetzt bekommen und was Sie fordern?
Wir haben ungefähr 100 Berater in Berlin und wir bräuchten nach diesem Schlüssel 50 000:2 ungefähr 140 bis 150 Berater, um annähernd das abzudecken, was an Problemen vorhanden ist. Der Staat muss auch bedenken, dass wir davon ausgehen können, dass eine gute Schuldnerberatung ihm richtig viel Geld spart. Es würde sich also lohnen, in Schuldnerberatung mehr zu investieren.
Wer ist denn beim Land Berlin für die Finanzierung zuständig?
Die Senatsverwaltung für Soziales. Das Land Berlin gibt eine Globalsumme an die Bezirkshaushalte. Die müssen dann gucken, ob das, was ihnen zugewiesen wird, auch wirklich weitergereicht wird. Da gibt es Probleme. Es gibt Bezirke, zum Beispiel Pankow, die das Geld nicht voll weiterreichen, sondern für andere Zwecke verwenden. Das ist nicht in unserem Sinne und macht uns Schwierigkeiten.
Wie hoch ist die Globalsumme?
Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg gibt rund 690 000 Euro pro Jahr für Schuldner- und Insolvenzberatung aus. Der Betrag wird vollständig weitergereicht. Um halbwegs bedarfsdeckend arbeiten zu können, benötigten wir allerdings etwa 960 000 Euro.
Immer mehr Berlinerinnen und Berliner sehen keinen Ausweg mehr aus der finanziellen Sackgasse. Deshalb lief gerade eine bundesweite Aktionswoche, um ihre Hilfsangebote publik zu machen. Findet auch öffentliche Beratung in Berlin statt?
In jedem Bezirk gibt es mindestens einen Träger, der als Schuldnerberatungsstelle staatlich anerkannt ist. Das sind zum Beispiel die AWO, die Caritas oder das Diakonische Werk. Für die Ratsuchenden ist wichtig, nach dieser staatlichen Anerkennung zu fragen. Wer zuständig ist, steht zum Beispiel im Internet auf www. schuldnerberatung-berlin.de.
Wir haben früher auch eine »Lange Nacht der Schuldnerberatung« veranstaltet Aber wir haben festgestellt, so etwas eignet sich eher für Museen und andere Kultureinrichtungen. Diese Form ist für soziale Beratungen nicht so geeignet. Deswegen haben wir uns dieses Mal mit zerfetzten »Rettungsschirmen« vor das Brandenburger Tor gestellt.
Interview: Andreas Heinz
Die Schuldnerberaterin Susanne Wilkening arbeitet bei der AWO Friedrichshain-Kreuzberg und gehört zum Vorstand der LAG.
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