Glücksspiel nach veränderten Regeln
Das neue Spielhallengesetz lässt viele Fragen offen, die Casinos bleiben – vorerst
Dicht an dicht reihen sich die Läden, die mit bunten Bildern von Würfeln und Euromünzen Passanten zum Spielen verführen wollen. Casinos gibt es in Berlin zuhauf. Das soll sich ändern. Als erstes Bundesland hat die Hauptstadt seit Anfang Juni ein strengeres Spielhallengesetz. Doch seine Formulierungen sind unscharf, nun ist es Sache der Bezirke, die Vorgaben zu interpretieren. Auf die Verwaltungsgerichte komme viel Arbeit zu, mutmaßte Carsten Spallek, Bezirksstadtrat für Wirtschaft, Immobilien, Ordnungsamt von Berlin-Mitte, am Donnerstag auf einer Pressekonferenz.
Um die Ausbreitung von Spielhallen und die damit verbundene Spielsucht einzudämmen, soll es künftig einen Mindestabstand von 500 Metern zwischen den Casinos geben. Zudem sollen sie »nicht in räumlicher Nähe« von Einrichtungen betrieben werden, »die von Kindern oder Jugendlichen aufgesucht werden«, so der Gesetzestext.
»Sollen heißt aber nicht müssen«, kritisierte Spallek. Zwingend seien die Vorschriften bisher nicht. Viele Fragen seien noch offen. Bezieht sich der geforderte 500-Meter-Abstand auf Luftlinie oder Fußweg? Was genau gilt als räumliche Nähe? »Und wie verhält es sich mit Sportstätten und Spielplätzen – zählen die als Jugendeinrichtungen?«
Laut Spallek sind im Bezirk Mitte die meisten Spielhallen angesiedelt, fast 100 Standorte mit 138 Casinos und knapp 1300 Automaten gibt es. Das Ordnungsamt wolle das Gesetz streng auslegen, kündigte der Bezirksstadtrat an. »In absehbarer Zeit wird es wohl keine Genehmigungen für neue Spielhallen geben.« Allerdings könnte es noch zu einigen Neueröffnungen kommen, wenn die Betreiber die Genehmigung vor Inkrafttreten des Gesetzes am 2. Juni erhalten haben. Der Ansturm war in den letzten Monaten gewaltig. Allein von letztem August bis Februar 2011 seien 79 Anträge eingegangen, fast alle habe man genehmigen müssen.
Die Regelungen des neuen Gesetzes greifen erst nach und nach. Ab sofort müssen Spielhallen eine längere Sperrzeit einhalten (3 bis 11 Uhr) und in jeder Spielhalle muss es eine Aufsichtsperson geben, die sich mit der Vorbeugung von Spielsucht auskennt. »Der geforderte Nachweis über ihre Sachkenntnis muss aber erst in einem Jahr erbracht werden«, wunderte sich Spallek. Die Rahmenbedingungen für den Erwerb, Inhalt und Nachweis solcher Kenntnisse müssen die Senatsverwaltungen für Wirtschaft und Gesundheit erst noch festlegen. Als nächster Schritt soll in drei Monaten »auffällige Werbung«, die zum Spielen reizt, nicht mehr zulässig sein. Auch hier das Problem: Ab wann spricht man von auffälliger Werbung?
Mit einer merklichen Veränderung im Stadtbild ist aber erst im Juli 2016 zu rechnen. Dann laufen alle bisherigen Spielhallengenehmigungen aus und müssen nach den Regeln des strengeren Gesetzes neu beantragt werden. Viele Nutzungsrechte werden voraussichtlich nicht verlängert, so Spallek. Doch wie darüber entschieden wird, welche der bestehenden Spielhallen im Fall einer zu nahen Nachbarschaft schließen müssen, steht ebenfalls noch nicht fest. »Wahrscheinlich zählt dann die Reihenfolge des Antragseingangs.«
Trotz der Mängel begrüßte der Bezirksstadtrat das neue Regelwerk. »Mir ist es lieber ein gutes Gesetz schnell zu haben, als ein sehr gutes zu einem späteren Zeitpunkt.« So habe man endlich eine Handlungsgrundlage, denn bisher sei es kaum möglich gewesen, die Eröffnung neuer Spielhallen zu verhindern.
Im Juli und August will das Ordnungsamt die Einhaltung der neuen Vorschriften erstmals überprüfen. Allerdings stehen dafür nur vier Sachbearbeiter zur Verfügung. »Wenn man es mit dem Gesetz ernst meint, muss man mehr Personal zur Verfügung stellen«, so der Stadtrat. Die genaue Auslegung des Gesetzes werde sich erst in nächster Zeit abzeichnen. »Eine erste Bilanz können wir in ein paar Monaten ziehen«, schätzte Spallek.
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