Von London lernen?

BVG-Spitze machte einen Ausflug und inspizierte Sperranlagen und Videoüberwachung

  • Bernd Kammer
  • Lesedauer: 3 Min.
Sigrid Nikutta testet die Sperranlagen.
Sigrid Nikutta testet die Sperranlagen.

Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos) hat sich diese Woche als Schwarzfahrer versucht – nicht bei der BVG, deren Aufsichtsratschef er ja auch ist, sondern in der Londoner U-Bahn. Unbeabsichtigt, wie er beteuert. Hinter BVG-Chefin Sigrid Nikutta habe er einfach so durch die Sperre schlüpfen können. In London sind U-Bahnhöfe bereits seit etwa 15 Jahren mit Zugangssperren ausgestattet, ein »semigeschlossenes System«, wie Nußbaum jetzt weiß. Er hätte auch noch drüber hüpfen können.

Das Erlebnis des Senators könnte vielleicht dazu beitragen, dass Berlin von diesem System verschont bleibt. Sein London-Besuch gemeinsam mit dem BVG-Vorstand stand im Zeichen der Debatte um die Sicherheit im Nahverkehr, praktisch eine Art Erfahrungsaustausch. Neben den Sperren standen Videoüberwachung, elektronische Ticketverfahren und der Einsatz von Sicherheitspersonal im Vordergrund. Dabei habe man festgestellt, dass das Mitte Mai gemeinsam mit Senat und Polizei geschnürte Sicherheitspaket im Wesentlichen mit dem Londoner identisch ist, so Nikutta. In der Berliner U-Bahn sollen demnach je 200 Polizisten und BVG-Sicherheitskräfte zusätzlich unterwegs sein, die Videoüberwachung ausgebaut und Fahrgäste sensibilisiert werden.

Beeindruckt hat die Berliner Reisegruppe, dass in London sogar eine eigene Einheit der Transportpolizei für die U-Bahn zuständig ist und die Mitarbeiter der Underground deutlich sichtbar Präsenz zeigen. Und die von der BVG engagierten Sicherheitsfirmen treten seit gestern in einheitlicher Uniform auf, die Entwürfe für eine gemeinsame mit den BVG-Kollegen liegen vor. Von den 200 neuen Sicherheitsmitarbeitern seien 120 bereits eingestellt, sagte Nikutta. Bei der Polizei laufe die Ausbildung. Statt bisher 120 seien ständig 170 private Sicherheitskräfte im Netz unterwegs, nachts weitere 40, die nun auch Tickets kontrollieren.

Große Unterschiede bestehen in der Videoüberwachung. In London wird fast flächendeckend in der ganzen Stadt gefilmt, jeder U-Bahnhof hat einen Überwachungsraum mit Monitoren und bis zu 20 Mitarbeitern, zudem gibt es eine große Sicherheitszentrale, wo die Bilder zusammenlaufen. Bis zu 14 Tage können die Bänder gespeichert werden. »London hat eine ganz andere Überwachungskultur, das will ich auch nicht«, beruhigte Nußbaum. Aber die BVG wird, sollte das Abgeordnetenhaus zustimmen, die Aufnahmen künftig 24 statt 48 Stunden speichern können. 20 kriminalitätsbelastete Bahnhöfe sollen mit moderneren Kameras ausgestattet werden, sechs noch in diesem Jahr. In der Sicherheitszentrale hat die BVG die Zahl ihrer Mitarbeiter auf 20 verdoppelt.

Nicht alles, was man in London gesehen habe, könne man in Berlin wegen der baulichen und kulturellen Unterschiede »eins zu eins« übernehmen, so Nußbaum. Ob das auch für die Zugangssperren gilt, ist unklar. Derzeit gebe es keine konkreten Pläne, versicherte Nikutta, aber man werde alles prüfen. In London seien die Sperren weniger ein Sicherheits-Thema denn eins der Fahrgeldeinnahmen und der Fahrgassteuerung. Wenn zum Beispiel ein Bahnsteig voll ist, können man ihn dicht machen. Das sei in Berlin höchstens bei Hertha im Olympiastadion ein Problem, aber da setze man Ordner ein. Und die Londoner Kollegen hätten gestaunt, dass in Berlin die Fahrgeldeinnahmen auch ohne dieses System gestiegen seien. Die Schwarzfahrerquote ist ebenfalls kein Argument, in London liegt sie bei zwei bis drei Prozent, in Berlin ist sie gerade von knapp fünf auf 3,5 Prozent gefallen. Weshalb also 300 Millionen Euro investieren, sinnierte der Senator.

Nußbaum und Nikutta sprachen sich gestern gegen ein Alkoholverbot auf Bahnhöfen aus, wie es Innensenator Körting (SPD) jetzt fordert. »Wir können schon heute Leute, die sich nicht angemessen verhalten, aus Bahnen und Bahnhöfen verweisen«, sagte Nikutta. Mit mehr Personal werde das noch häufiger passieren.

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