Dunkelziffer 100 Prozent

Ein Polizeibeamter sensibilisiert Kollegen für Vorurteile über Schwule und Lesben

  • Andrea Löbbecke, dpa
  • Lesedauer: 3 Min.
Manchmal werden Homosexuelle Opfer einer Straftat, nur weil sie homosexuell sind. Bei der rheinland-pfälzischen Polizei gibt es nun für sie einen speziellen Ansprechpartner. Roland Kohn ist auch für schwule und lesbische Kollegen da, die sich benachteiligt fühlen.

Mainz. Als ein homosexueller Polizist auf der Dienststelle gegen seinen Willen geoutet wird, reagieren vor allem ältere Kollegen mit Ablehnung. Obwohl sie seit Jahren zusammenarbeiten, weigert sich einer sogar, mit dem Mann auf Streife zu fahren. Nach den Erfahrungen von Roland Kohn, Beamter bei der Wasserschutzpolizei, kein Einzelfall. »In den Köpfen von einigen Polizisten ist einfach noch nicht der Schalter umgekippt«, sagt der 50-Jährige, der sich auch beim Landesverband lesbischer und schwuler Polizeibediensteter (VelsPol) engagiert.

Keine Anzeige aus Angst vor Outing

Seit Februar dieses Jahres ist Kohn offizieller Ansprechpartner bei der rheinland-pfälzischen Polizei für gleichgeschlechtliche Lebensweisen. Dies bedeutet: Fühlt sich ein Beamter wegen seiner Homosexualität benachteiligt oder gemobbt, kann er sich bei dem 50-Jährigen Hilfe holen. Der Polizist ist aber auch Anlaufstelle für alle Opfer von Straftaten, die mit der sexuellen Orientierung zu tun haben. Viele Schwule und Lesben scheuten sich, bei diskriminierenden Attacken Anzeige zu erstatten. Vor allem, wenn sie ihre Homosexualität nicht offen leben, trauen sie sich nicht, sich auf der Wache zu outen, berichtet Kohn. Sogar dann nicht, wenn sie vorher verprügelt oder beraubt wurden.

»Wird die Straftat doch angezeigt, erfindet das Opfer manchmal einen anderen Tatort oder eine andere Situation«, sagt Kohn. So werde beispielsweise verschwiegen, dass die Straftat an einem bekannten Schwulen-Treffpunkt geschah. »Für die Aufklärung ist dies natürlich nicht besonders förderlich.«

Eine offizielle Auswertung von Polizeidaten 2006 habe ergeben, dass in diesem Jahr keine einzige homophobe Straftat in Rheinland-Pfalz angezeigt wurde, erzählt Kohn. Eine Studie der Maneo Toleranzkampagne (Berlin) über den gleichen Zeitraum habe ein völlig anderes Bild ergeben. Von den rund 910 schwulen und bisexuellen Männern aus Rheinland-Pfalz, die sich an der Umfrage beteiligten, hätten mehr als ein Drittel erklärt, sie seien wegen ihrer Sexualität in dem Zeitraum Opfer geworden. »Auf diesem Deliktfeld gibt es offensichtlich eine Dunkelziffer von annähernd 100 Prozent«, sagt Kohn.

Allerdings müsse man differenzieren. »Nicht jede Beschimpfung als ›schwule Sau‹ ist eine homophobe Beleidigung. Manche Jugendlichen nennen schlicht jeden so«, sagt Kohn. Daher stehe er allen Polizeikollegen als Ansprechpartner bereit, wenn die Beamten unsicher sind, ob sie es mit einem Opfer von homophober Gewalt zu tun haben.

Ältere haben noch gegen Schwule ermittelt

Kohn berichtet von einem länger zurückliegenden Fall. Ein Homosexueller hatte in einer Kneipe zwei Männer kennengelernt und war mit ihnen auf ein Hotelzimmer gegangen. Doch statt eines flotten Dreiers erlebte der junge Mann aus Mainz einen Alptraum: Er wurde im Zimmer eingesperrt und die ganze Nacht vergewaltigt. Als er die Tat bei der Polizei anzeigen wollte, konnte der Beamte keine Straftat erkennen. »Wollen Sie sich hier über schlechten Sex beschweren«, habe er zu hören bekommen, wie der Mann später Kohn erzählte. Angezeigt habe das Opfer die Tat daraufhin nicht mehr.

Kohn betont zwar, dass die große Mehrheit bei der Polizei nach seiner Überzeugung kein Problem mit Schwulen hat. Aber: Unter den Älteren seien noch einige, die früher gegen Schwule ermittelt hätten – nach dem damals geltenden Paragrafen 175. Bei manchen dieser Kollegen müsste es noch »eine Bewusstseinsänderung geben«, fordert Kohn. Er ist davon überzeugt, dass es bei der rheinland-pfälzischen Polizei im Durchschnitt genauso viele Schwule gibt wie in der gesamten Gesellschaft. Das wären dann bei der Polizei knapp 500. Im Schwulen- und Lesbenverband VelsPol sind im Land allerdings nur zwölf Mitglieder aktiv.

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